Der Buddha aus der Vorstadt
denn da standen sie, Changez’ Frau und seine Nutte, und unterhielten sich mit Fruitbat über moderne Tänze.
Ich war baff. »Ist Shinko denn Jamilas Freundin?«
»Seit kurzem, du Schlaumeier. Jamila beschloß, sie hätte zu wenig Freundinnen, also ging sie hin und besuchte Shinko. Schließlich hast du ihr ja von Shinko erzählt, ohne jeden Grund natürlich. Meinen herzlichen Dank auch, ich hoffe, ich kann dir irgendwann den gleichen Gefallen erweisen. Jedenfalls war es anfangs verdammt peinlich, als die beiden Mädels direkt vor meiner Nase saßen, und das war erst der Anfang.«
»Und was hast du getan?«
»Nichts! Was hätte ich schon tun können? Sie freundeten sich an! Sie redeten über all die Themen, die normalerweise unter der Bettdecke verborgen bleiben. Penis hier, Vagina da, der Mann oben, die Frau unten, hier und da und überall. Ich muß die Demütigungen eben ertragen, mit denen man mich in diesem Land überhäuft! Außerdem ist alles noch schwieriger, seit Anwar-saab völlig verrückt geworden ist.«
»Wovon redest du, Changez? Davon weiß ich nichts.«
Er lehnte sich zurück, sah mich kühl an und zuckte selbstgefällig mit den Achseln. »Was weißt du auch schon?« »He?«
»Du gehst ja nicht mehr hin, yaar, gehst ihnen aus dem Weg, so wie du mir neuerdings aus dem Weg gehst.«
»Ach so.«
»Es macht mich traurig«, sagte er.
Ich nickte. Er hatte recht, ich war schon lange nicht mehr bei Jeeta und Anwar gewesen. Der Umzug, meine Niedergeschlagenheit und all das hatte mich davon abgehalten, und dann war da noch mein neues Leben, das ich in London anfangen wollte, und die Stadt, die ich kennenlernen mußte.
»Laß deine Familie nicht im Stich, Karim.«
Noch ehe ich die Chance hatte, meine Familie im Stich zu lassen und herauszufinden, wie verrückt Anwar eigentlich geworden war, kam Eva zu mir.
»Entschuldige«, sagte sie zu Changez. »Steh auf«, sagte sie zu mir.
»Ich sitz ganz gut hier«, antwortete ich.
Sie zerrte mich in die Höhe. »Himmel, Karim, kannst du denn nie mal was für dich selber tun?« Ihre Augen glitzerten vor Aufregung. Während sie redete, sah sie sich unablässig im Zimmer um. »Karim, mein Liebling, der große Moment deines Lebens ist da. Hier ist jemand, der verrückt danach ist, dich wiederzutreffen, das heißt, dich endlich richtig kennenzulernen. Ein Mann, der dir helfen kann.« Sie führte mich durch das Gedränge. »Übrigens«, flüsterte sie mir ins Ohr, »sei nicht arrogant oder selbstgefällig.«
Es ärgerte mich, daß sie mich von Changez fortzog. »Warum nicht?« fragte ich.
»Laß ihn reden«, sagte sie.
Sie hatte jemanden erwähnt, der mir helfen würde, aber ich sah nur Shadwell, auf den wir zusteuerten. »Oh, nein«, sagte ich und wollte mich abseilen. Aber sie zog mich weiter hinter sich her wie eine Mutter ihr unartiges Kind. »Komm schon«, sagte sie. »Das ist deine Chance. Red mit ihm über das Theater.«
Ich mußte Shadw r ell nicht besonders ermutigen. Man merkte rasch, daß er klug und sehr belesen war, aber auch ein ziemlicher Langweiler. Wie so viele bekannte Nervensägen hatte er seine Gedanken in Schubladen gepackt und mit einem Etikett versehen. Wenn ich ihn etwas fragte, dann sagte er etwa: »Die Antwort darauf lautet - um präziser zu sein: die möglichen Antworten lauten: A...« Und nach Punkt A kam Punkt B und dann C, und einerseits F und andererseits G, bis man das ganze Alphabet vor sich ausgebreitet sah, jeder Buchstabe eine Sahara, durch die man kriechen mußte. Er redete über das Theater und über Schriftsteller, die ihm gefielen: über Arden, Bond, Orton, Osborne, Wesker, und jeder von ihnen erstickte nach nur einer Minute in Shadwells Mund. Ich versuchte ständig, zu Changez’ kummervollem Gesicht zurückzukehren, das sich verdrießlich in seine gesunde Hand schmiegte, während die Gäste um Changez herum die Luft mit ihren kultivierten Geräuschen füllten. Ich sah, wie Changez’ Blick zärtlich über die Gestalt seiner Frau glitt und dann an den erstklassigen Hüften seiner Prostituierten kleben blieb, während die beiden sich zu Martha Reeves und den Vandellas vorarbeiteten. Dann raffte sich Changez plötzlich auf und tanzte mit ihnen. Wie ein Zirkuselefant hob er einen Fuß nach dem anderen schwerfällig vom Boden und spreizte seine Ellbogen, als hätte man ihn in einer Pantomimeschule darum gebeten, einen Flamingo nachzumachen. Ich wollte mit ihm tanzen und die Erneuerung unserer Freundschaft feiern. Langsam
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