Der buddhistische Mönch
streiche ich ihm über Kopf und Gesicht. Der blaue Fleck unter seinem linken Auge ist dunkler geworden. Baker betrachtet mich mit hilflosem Blick. Ich rücke einen Stuhl an seine Pritsche und setze mich darauf.
»Warum sind Sie hier, Dan?«
Ein Blinzeln. Meine Worte reißen ihn aus seiner Apathie, aus jener seltsamen Mischung aus Einsamkeit und Thai-Cop-Paranoia, die seinen Willen gebrochen hat. Sätze beginnen, aus ihm herauszusprudeln.
»Warum ich hier bin? Weil Sie mich eingebuchtet haben. Weil Sie ein Thai-Cop sind, der einen Sündenbock gefunden hat zum Quälen. Wahrheit, Gerechtigkeit, Freiheit und Demokratie sind Ihnen schnurz. Sie wollen mich in die Todeszelle bringen, damit Sie sich dem nächsten Fall widmen können. Deswegen wollte ich mich aus dem Staub machen, und jetzt haben Sie noch mehr Grund, mich schlecht zu behandeln.«
»Kennen Sie sich aus mit dem thailändischen System der Jurisdiktion?«
»Ich lebe seit Jahren in diesem Land, Mann«, sagt Baker verbittert. »Da hab ich eine Menge gesehen. Hier gibt’s keine Jurisdiktion.«
»Warum sind Sie überhaupt in Thailand, wenn hier alles so schrecklich ist?«
Plötzlich ergießt sich aus seinem Mund ein angestauter Wortschwall. Seine Zunge hat Mühe, mit seinen Gedanken Schritt zu halten:
»Ich bin hier, weil es in der freien Welt keine Rehabilitation gibt – mit einer Vorstrafe kriegt man keinen Job, mit dem man mehr verdienen könnte als das absolute Minimum. Ich bin hier, weil meine Ehe gescheitert ist. Ich bin hier, weil ich kaum noch Haare auf dem Kopf und fast die Hälfte meines Lebens hinter mir habe – das mag albern klingen, aber mir ist noch kein einziges Thai-Mädchen begegnet, dem’s wichtig wäre, ob ich dreißig oder vierzig, kahlköpfig oder geschieden bin. Euer Volk bildet sich kein Urteil über andere, und ich hab vier Jahre gebraucht, um herauszufinden, warum. Ihr habt eine riesige Hölle, das Gefängnissystem, das verschlingt jeden, der durchs Raster fällt. Die abscheulichste Einrichtung der Welt. Eigentlich handelt es sich gar nicht um ein Gefängnis im engeren Sinn, sondern eher um eine steinzeitliche, von Bullen und Anklägern betriebene Geldfabrik, vor der niemand sicher ist. Jeden kann’s erwischen, egal, ob Thai oder farang, Mann oder Frau, Alt oder Jung. Man geht ganz friedlich eine nächtliche Straße entlang, da taucht aus dem Nichts ein Cop auf, steckt einem eine Ecstasy- oder yaa-baa- Pillein die Tasche, ohne dass man’s merkt, und schon sitzt man im Gefängnis. Und dann macht der Bulle einem ein Angebot: Zahl mir, was ich verlange, sonst raubt das System dir den Rest deines Lebens. In eurer Gesellschaft zählt letztlich nur eine einzige Frage: Ist er durchs Raster gefallen oder nicht?«
»Und die Hölle darunter – gibt es einen Weg heraus oder nicht?«
»Ich hab nicht das nötige Geld, um mich freizukaufen.« Er sieht mich an. »Und ich bin kein Mörder.«
Ich nicke. »Angenommen, Sie sind ausgerechnet an den einzigen unbestechlichen Bullen in Bangkok geraten? Angenommen, ich möchte wirklich herausfinden, was mit Damrong passiert ist?«
Ich hätte Damrongs Namen nicht in dem Tonfall aussprechen sollen. Er sieht mich fragend an. »Und woher soll ich das wissen?«
»Sie waren mit ihr verheiratet und ihr Geschäftspartner. Möglicherweise hat sie Ihnen mehr anvertraut als jedem anderen. Vielleicht haben Sie sie nicht umgebracht, wissen aber, warum sie sterben musste.«
Offenbar war meine letzte Formulierung geschickt gewählt, denn sie lenkt ihn ab. Erst nach einer ganzen Weile meint er: »Musste sie denn sterben? Sie haben mir nicht gesagt, wie’s passiert ist.«
»Das möchte ich ja von Ihnen erfahren.«
»Ich weiß es nicht. Sie haben mir noch nicht mal verraten, wann sie gestorben ist.«
»Tja, gute Frage«, antworte ich. »Aber nicht wirklich relevant. Dank moderner Technologie lassen sich heutzutage Dinge, die man früher selbst erledigen musste, aus der Ferne bewältigen.«
Plötzlich wirkt er verängstigt. Ich habe keine Ahnung, warum meine Worte eine solche Wirkung zeitigen. Sein Gesichtsausdruck ähnelt dem eines Ertrinkenden. Ich rücke mit dem Stuhl ein wenig näher an ihn heran. »Sagen Sie es mir«, beschwöre ich ihn mit leiser Stimme. »Vielleicht kann ich Ihnen helfen.«
Ein Achselzucken. »Helfen? Ich befinde mich zwischen Scylla und Charybdis. Wenn Sie mich heute hier rauslassen, weiß ich nicht mal, ob ich’s bis zum Flughafen schaffe.«
Ich nicke weise, bevor ich mich erhebe
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