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Der buddhistische Mönch

Der buddhistische Mönch

Titel: Der buddhistische Mönch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
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herunterladen, ohne dass man in Bibliotheken stundenlang danach suchen müsste. Bis vor Kurzem hatte ich keine Ahnung, wie begrenzt der Theravada ist. Wollte ich mich heute ordinieren lassen, würde ich es vermutlich in Dharamsala tun, wo der Dalai Lama lebt.«
    Ich rücke mit meinem Stuhl zurück. Allmählich dämmert mir, dass der Fall eine unerwartete, ja, schockierende Wendung nimmt. Zu meiner Überraschung stelle ich fest, dass ich fasziniert bin von diesem jungen phra, dessen wahre Identität mir mit jedem Wort, das er äußert, schwerer zu fassen scheint. Habe ich seine Manierismen für die eines Betrügers gehalten, weil er so fortgeschritten ist, dass er seine Wirkung auf andere überhaupt nicht mehr wahrnimmt? Bei echten Mönchen verhält es sich so.
    »Gehen wir in ein anderes Zimmer, wo wir ungestört sind.«
     
    In unserem kleinsten Vernehmungsraum sage ich: »Sie beobachten mich seit mehr als einer Woche. Warum?«
    »Ich wollte Ihnen von meiner Schwester erzählen«, antwortet er mit jener ausgewogenen Mischung aus Mitgefühl und Distanz, die authentisch sein mag oder auch nicht.
    Meine Anspannung löst sich in einem dankbaren Seufzen auf. »Und der Name Ihrer Schwester lautet Damrong?«
    »Ja. Das habe ich Ihnen mit den Narben mitzuteilen versucht.«
    »Wissen Sie Genaueres über ihren Tod?«
    »Nein.«
    »Warum wenden Sie sich dann an mich?«
    »Weil sie Ihnen Informationen zukommen lassen möchte. Sie sucht mich jede Nacht auf. Ihre Seele findet keine Ruhe.«
    Ich brauche einen Moment, um das zu verdauen. »Wieso die Spielchen? Warum sind Sie nicht wie jeder andere ins Revier gegangen?«
    »Ich bin eben nicht wie jeder andere. Ich bin Mönch.«
    »Oder hat’s etwas damit zu tun?« Ich deute auf die kurze weiße Narbe an seinem linken Handgelenk, das Pendant zu der von Damrong.
    »Nicht das, was Sie denken«, erklärt er lächelnd. »Das war eine Eselei im Teenageralter, nicht mehr.«
    Ich brumme resigniert. »Bitte erzählen Sie mir alles, was Sie wissen«, fordere ich ihn mit einem Seufzen auf.
    »Nicht hier«, erwidert er. »Draußen wäre mir lieber. Ihnen doch auch, oder?«
    Er geht mir voran ins blendende Licht, hinaus auf die belebte Straße. Ich bleibe einen halben Schritt hinter ihm, wie die Etikette es verlangt. Neben uns zieht ein Mann mit Strohhut einen hoch mit Bürsten, Besen und Müllschaufeln beladenen Karren hinter sich her.
    Damrong, so der Mönch, war praktisch ein weiblicher arhat oder buddhistischer Heiliger. Er selbst, ein kränkliches Kind, erhielt nach der Geburt den Namen Gamon, benutzt aber jetzt den Sangha-Namen Phra Titanaka. Ihre Mutter, die aufgrund ihrer yaa-baa- Suchtallmählich den Verstand verlor, hatte immer wieder unbegründete Wutausbrüche. Ihr Vater, ein erfolgreicher Gangster mit einem Körper voller Tätowierungen – magische Beschwörungsformeln in khmon, der alten Schrift der Khmer –, wurde Opfer eines Ritualmords durch örtliche Polizeibeamte, als Gamon sieben war. Die Eltern flohen, nachdem Nixon die östliche Hälfte ihres Landes bombardiert und die gesamte Region destabilisiert hatte, aus der Khmer-Heimat. Beide Kinder wurden in einem Flüchtlingslager in Thailand geboren. Die Verehrung des Mönchs für seine Schwester beeindruckt mich.
    »Ohne sie hätte ich nie überlebt. Sie hat alle Prügel für mich bezogen – mich durfte er nicht anrühren. Er hatte Angst vor ihrer Wildheit. Und vor unserer Mutter hat sie mich auch geschützt.«
    »Sie hat Ihre Ausbildung bezahlt?«
    »Ja.«
    Unsere Blicke treffen sich. Meine Ausbildung wurde auf die gleiche Weise finanziert, also kann ich nicht umhin zu fragen: »Sie wussten, woher sie das Geld hatte?«
    »Anfangs nicht. Aber als ich älter wurde, konnte es mir natürlich nicht mehr verborgen bleiben.«
    Seine Selbstbeherrschung ist beeindruckend. Er wischt die einzelne Träne an seiner linken Wange nicht weg. Aus seiner Sicht sind selbst seine emotionalen Qualen ein irreführendes Phänomen, wie alles andere auf der Welt. Es belustigt ihn, dass ich ihn bewundere. Er hat keine Ahnung, wie verführerisch mir das Leben eines Mönchs einst erschien; vielleicht hat sich daran nichts geändert. Als Teenager verbrachte ich ein Jahr in einem Waldkloster. Das war die friedlichste und unkomplizierteste Zeit meines Lebens.
    Wir halten an einer Kreuzung, um einen von einem Motorrad bewegten Stand vorbeizulassen; das Gefährt ist über und über mit Lotterietickets und bunten Zeitschriften bedeckt, sodass man den Fahrer

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