Der buddhistische Mönch
dieses Gefühl muss ich fürs Erste auf Eis legen und mich auf Damrongs Bruder konzentrieren.
Das Problem bei einer unbekannten, möglicherweise sogar unergründlichen Größe liegt darin, dass die Phantasie sie nach Belieben gestalten kann. Betrüger oder Wahnsinniger? Ausnahmsweise teile ich Lek meine Selbstzweifel mit. »Er hat mich hinters Licht geführt. Einen Moment lang hab ich ihn für echt gehalten.«
»Ist er«, erklärt Lek im Brustton der Überzeugung, jetzt, da er den Mönch offenbar nicht mehr im Verdacht hat, verrückt zu sein. »Und Sie bewundern ihn. Sie hätten so sein können wie er, Meister.«
»Aber der Sangha kennt ihn nicht.«
Lek legt das yaa-dum-Stäbchen weg und sieht mich an. »Sie wissen genausogut wie ich, dass er als echter Mönch Jahre in einem Kloster verbracht hat. Wenn nicht, könnte er nicht so reden und sich bewegen. Er ist sehr fortgeschritten auf dem Pfad der Erkenntnis. Bestimmt hat er sich in einem anderen Land ordinieren lassen.«
»In Kambodscha, wo seine Eltern herstammen? Wie kann jemand wie er aus Kambodscha kommen?«
Ich erhebe mich stirnrunzelnd, um das Revier zu verlassen und einen Spaziergang zu machen. Mangels besserer Ideen folge ich einem saleng, der mit seiner Rikscha gemächlich die Straße nach Müll absucht. Salengs sind unsere Aasfresser und Zauberkünstler. In ihren Händen verwandeln sich Bierdosen in Spielzeug, Plastikflaschen in bunte Mobiles für Schaufenster, Cola-Dosen in Sonnenhüte und Lastwagenkühlergrills in Gartentore. Mit einem triumphierenden Grinsen holt er einen kaputten Schirm aus dem Abfall. Er lenkt meine Gedanken zurück zu Damrongs Bruder.
Meine Identifikation mit ihm ist zu stark, als dass ich objektiv sein könnte. Seine Biographie brauche ich nicht schriftlich – ich erspüre jede Einzelheit. Er hatte eine härtere Jugend als ich, aber letztlich geht es hier um Nuancen. Auch meine Mutter und ich bewegten uns am Rand des Abgrunds. Nong entschied sich für die überseeische Alternative, indem sie ausländische Kunden kultivierte; Gamon blieb zu Hause, während seine Schwester ihren Körper verkaufte. Als Preis für sein Überleben ließ sie sich von ganzen Männerheerscharen sämtlicher Rassen und Glaubensrichtungen benutzen. – Seiner eigenen Aussage nach war er ein ausgesprochen feinfühliges Kind. Wie viele qualvolle Nächte verbrachte er wohl, bevor ihn jemand mit der entspannenden Wirkung von Methamphetamin vertraut machte? Doch das kostet, und wenn man arm ist und davon abhängig, bleibt einem eigentlich nichts anderes übrig, als damit zu handeln.
Ich schiebe mein Wissen um sein Leid beiseite; mich beeindruckt vielmehr, wie es ihm gelungen ist, sich darüber zu erheben. Ich selbst habe solche Höhen nie erreicht. Mein verstorbener Partner Pichai und ich verbrachten ein Jahr in einem Waldkloster, damit wir nicht ins Gefängnis mussten. Offenbar ließ Gamon sich freiwillig ordinieren, lebenslang. Sein Meister dürfte genauso schonungslos gewesen sein wie meiner, wahrscheinlich sogar strenger. Gamon hätte als junger Mönch nicht lange überlebt, wenn er nicht bereit gewesen wäre, sich jener Form der destruktiven Prüfung auszusetzen, die als vipassana- Meditation bekannt ist. Vermutlich begann er in höllischer Frustration, in einer komplexen Mischung aus Armut, Verbrechen, Drogenmissbrauch und Prostitution. Ich habe es mit einer verlorenen Seele am Rand von Verzweiflung und Wahnsinn zu tun.
Als ich ins Revier zurückkehre, steht Lek am Fenster neben meinem Schreibtisch. »Er hat noch mal zehn Minuten im Internet-Café verbracht und ist dann in Richtung wat gegangen«, teilt er mir mit verträumter Stimme mit. »Ein echter Mönch.«
Da piepst mein Handy zweimal:
Wir könnten klein anfangen, den Kurier testen, oder alles auf eine Karte setzen mit einem großen Auftrag. Ich bin bereit, für meine Kunst zu sterben. Wie aufrichtig muss ich sein? Und wie verzweifelt? Yammy.
22
»Er hat’s dir erzählt, nicht?«, höre ich die Stimme der FBI-Frau leise zischelnd aus dem Handy.
»Ja.«
»Wie sauer bist du auf ’ner Skala von eins bis zehn? Bitte sag jetzt nicht elf.«
»Elf.«
»Okay, was heißt, dass wir bei Adam und Eva anfangen. Du hältst den westlichen Geist für ein Produkt Frankensteins aus verquerer Religion und den Gedanken von ein paar alten pädophilen Griechen, für eine üble Mischung aus Schuljungenlogik, Blutdurst, Besserwisserei und Zerstörungswut zum Zweck der Weltrettung. Das Ganze führte
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