Der Buick: Roman (German Edition)
Gesicht dasaß. » Kannst du das, ja?«, fragte ich.
» Ja. Du nicht?«
Vermutlich hatten alle Trooper, die im Laufe der Jahre hier gearbeitet hatten, diese Anziehungskraft gespürt. Sie hatten sie gespürt, wie Küstenbewohner die Gezeitenströme spüren, die ihrem Leben einen Rhythmus vorgeben. An den meisten Tagen und in den meisten Nächten hatten wir es ebenso wenig wahrgenommen, wie man normalerweise bewusst seine Nase wahrnimmt – als Umriss, der auf einer Seite alles begrenzt, was man sieht. Manchmal aber wurde die Anziehungskraft stärker, und dann tat sie einem gewissermaßen weh.
» Also gut. Sagen wir mal, ich spüre es auch. Huddie hat es ganz gewiss gespürt. Was glaubst du, was mit ihm passiert wäre, wenn Shirley damals nicht im richtigen Moment geschrien hätte? Was glaubst du, was mit ihm passiert wäre, wenn er, wie er es vorhatte, in den Kofferraum gestiegen wäre?«
» Diese Geschichte hattest du noch nicht gehört, nicht wahr, Sandy?«
Ich schüttelte den Kopf.
» Das hab ich gemerkt. Sonderlich überrascht hast du aber trotzdem nicht gewirkt.«
» Bei dem Buick überrascht mich gar nichts mehr.«
» Meinst du, er hatte das wirklich vor? Sich da reinzulegen und den Deckel zuzuziehen?«
» Ja. Aber ich glaube, er hatte nichts damit zu tun. Das ist diese Anziehungskraft, die von dem Wagen ausgeht. Früher war sie stärker, aber sie ist immer noch da.«
Darauf erwiderte er nichts. Er saß nur da und schaute hinüber zum Schuppen B.
» Du hast meine Frage noch nicht beantwortet, Ned. Was glaubst du, was mit ihm passiert wäre, wenn er da reingestiegen wäre?«
» Ich weiß es nicht.«
Eine durchaus vernünftige Antwort, nehme ich mal an – ganz sicherlich die Antwort eines Kindes; das sagen die ein Dutzend Mal am Tag –, aber mir gefiel sie trotzdem überhaupt nicht. Er war zwar aus der Footballmannschaft ausgestiegen, hatte aber anscheinend das Ausweichen und sich Wegducken nicht verlernt. Ich sog Rauch ein, der nach heißem Heu schmeckte, und stieß ihn wieder aus. » Du weißt es nicht.«
» Nein.«
» Nach dem, was mit Ennis und Jimmy und wahrscheinlich auch Brian Lippy passiert ist, weißt du es immer noch nicht.«
» Es ist nicht immer alles verschwunden, Sandy. Denk zum Beispiel an die andere Springmaus. Rosalie oder Roslyn oder wie sie auch hieß.«
Ich seufzte. » Wie du meinst. Ich geh jetzt ins Country Way und esse einen Cheeseburger. Du bist herzlich eingeladen mitzukommen, aber nur, wenn wir das Thema wechseln und über was anderes reden.«
Er überlegte es sich und schüttelte dann den Kopf. » Ich glaube, ich fahr nach Hause. Ich muss nachdenken.«
» Okay, aber sag deiner Mutter nicht, worüber du da nachdenkst.«
Da schaute er fast ulkig entsetzt. » Natürlich nicht!«
Ich lachte und klopfte ihm auf die Schulter. Seine Miene hatte sich aufgeheitert, und mit einem Mal konnte ich ihn wieder mögen. Und was seine Fragen anbelangte und sein kindisches Beharren darauf, die Geschichte müsse einen Schluss haben und dieser Schluss irgendeine Lösung bieten – das würde die Zeit schon richten. Vielleicht hatte ich von meinen Antworten auch zu viel erwartet. Die Lebensimitate, die man im Fernsehen und Kino sieht, flößen einem den Glauben ein, das menschliche Leben bestünde nur aus Offenbarungen und plötzlichen Sinneswandeln; und wenn man dann erwachsen ist, ist einem dieser Glaube schon fast in Fleisch und Blut übergegangen. Solche Dinge kommen sicherlich von Zeit zu Zeit mal vor, aber größtenteils stimmt das doch einfach nicht. Das glaube ich nicht nur – das weiß ich. Die Veränderungen im Leben kommen auf leisen Sohlen. So gesehen, wirkte die ganze Sache mit der neugierigen Katze, die schließlich doch noch Befriedigung erlangte, einigermaßen absurd. In der wirklichen Welt wird nur selten etwas zu Ende erzählt. Wenn mich die dreiundzwanzig Jahre mit dem Buick 8 auch sonst nichts gelehrt hatten, so doch wenigstens das. Curts Sohn wirkte in diesem Moment, als hätte er einen Schritt in die richtige Richtung gemacht. Vielleicht sogar zwei. Und wenn mir das für einen Abend nicht genug war, dann war das mein Problem.
» Du kommst morgen, nicht wahr?«, fragte ich.
» In alter Frische, Sarge.«
» Dann solltest du das Nachdenken vielleicht besser verschieben und stattdessen ein wenig schlafen.«
» Ich kann’s ja mal probieren.« Er berührte kurz meine Hand. » Danke, Sandy.«
» Nichts zu danken.«
» Wenn ich mich blöde angestellt habe …«
»
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