Der Buick: Roman (German Edition)
gesagt, er sei zu alt, um sich mit etwas zu befassen, das so fern ab seines Weltverständnisses liege. Er sagte, er wolle den Buick aus seinem Gedächtnis verbannen, und hat Tony und Curt eindringlich gebeten, das auch zu tun.«
» Aber um Himmels willen, er war doch Wissenschaftler! Das Ding hätte ihn doch faszinieren müssen!«
» Dein Vater war der Wissenschaftler«, sagte ich. » Zwar nur ein Amateurwissenschaftler, aber ein guter. Die Dinge, die aus dem Buick kamen, und seine Begierde, etwas über den Buick zu erfahren – das hat ihn zum Wissenschaftler gemacht. Als er zum Beispiel das Fledermauswesen seziert hat, war das zwar verrückt, hatte aber durchaus auch etwas Heldenhaftes, genau wie die Gebrüder Wright, als die zum ersten Mal mit ihrem kleinen, selbst gebastelten Flugzeug gestartet sind. Bibi Roth hingegen … Bibi war ein Handwerker mit Mikroskop. So hat er sich manchmal selbst bezeichnet, und zwar voller Stolz. Er war jemand, der sich ganz bewusst auf ein einziges Wissensgebiet eingeschränkt und einen kleinen Bereich ganz hell ausgeleuchtet hat. Handwerker hassen Geheimnisse. Wissenschaftler – zumal Amateur wissenschaftler – stürzen sich darauf. Dein Vater war ein zwiegespaltener Mensch. Als Polizist waren ihm Geheimnisse verhasst. Als Buickologe aber … tja, sagen wir einfach nur: als Buickologe war er ein ganz anderer Mensch.«
» Und welchen der beiden mochtest du lieber?«
Ich dachte darüber nach. » Das ist, als würde ein Junge seine Eltern fragen, wen sie mehr lieben – ihn oder seine Schwester. Das ist keine faire Frage. Aber Curt, der Forscher, hat mir immer Angst gemacht. Und Tony auch ein wenig.«
Der Junge saß da und dachte darüber nach, überlegte vielleicht, ob er das glauben konnte oder nicht. Oder ob er es glauben wollte.
» Es sind noch ein paar Dinge aufgetaucht«, sagte ich. » 1991 hatten wir einen Vogel mit vier Flügeln.«
» Vier …!«
» Ja, vier. Er flog herum, prallte an die Wände und fiel tot zu Boden. Im Herbst 1993 sprang nach einer Lightshow der Kofferraum auf und war halb voll mit Erde. Curt wollte sie drin lassen und sehen, was damit geschehen würde, und zuerst war Tony damit einverstanden, aber dann fing die Erde an zu stinken. Ich wusste nicht, dass Erde verfaulen kann, das wusste wohl keiner von uns, aber anscheinend geht das durchaus, wenn es nur die richtige Erde ist. Und deshalb … das ist verrückt, aber wir haben die Erde vergraben. Ist das zu fassen?«
Er nickte. » Und hat mein Dad die Stelle im Auge behalten, wo ihr sie vergraben habt? Das hat er doch bestimmt, oder? Nur um zu sehen, was da wachsen würde.«
» Ich glaube, er hat auf ein paar von diesen eigenartigen Lilien gehofft.«
» Und? Kamen welche?«
» Nein, da ist nichts gewachsen. Die Erde aus dem Kofferraum haben wir ganz in der Nähe der Stelle vergraben, an der auch Mister D und die Werkzeuge liegen.«
» Und das Monster? Was ist damit passiert?«
» Was sich davon noch nicht in Schleim verwandelt hatte, haben wir im Verbrennungsofen verbrannt. Und an der Stelle, wo wir die Erde vergraben haben, wächst immer noch nichts. Jedes Frühjahr sprießt da ein wenig was, aber bisher ist es immer wieder eingegangen. Aber ich schätze mal, das wird sich irgendwann ändern.«
Ich steckte mir meine letzte Zigarette an.
» Gut anderthalb Jahre nach der Erde kam noch einmal so eine rote Stock-Eidechse. Tot. Und das war’s. Es ist immer noch ein Erdbebengebiet da drin, aber die Erdbeben sind heutzutage nicht mehr so stark. Es wäre nun ebenso unklug, achtlos mit dem Buick umzugehen, wie es unklug wäre, achtlos mit einem alten Gewehr umzugehen, nur weil es Rost angesetzt hat und der Lauf mit Dreck verstopft ist. Aber wenn man die nötige Vorsicht walten lässt, geht wahrscheinlich keine große Gefahr davon aus. Und eines Tages – das hat dein Dad geglaubt, das hat Tony geglaubt, und ich glaube das auch – wird dieser alte Wagen auseinanderfallen. Ganz plötzlich, genau wie die Wunderkutsche in dem Gedicht von O. W. Holmes.«
Er sah mir flüchtig in die Augen, und mir wurde klar, dass er keine Ahnung hatte, von welchem Gedicht ich da sprach. Mit der Bildung geht es eindeutig bergab. Dann sagte er: » Ich kann es spüren.«
Etwas an seinem Tonfall erschreckte mich sehr, und ich sah ihn ernst an. Er sah immer noch jünger aus als achtzehn, fand ich. Ein kleiner Junge, weiter nichts, der mit Turnschuhen an den Füßen, übereinandergeschlagenen Beinen und Sternenlicht auf dem
Weitere Kostenlose Bücher