Der Buick: Roman (German Edition)
Eddie Jacubois und ich haben ihn gleich da drüben begraben.« Er zeigte zu der mit Buschwerk bewachsenen Wiese hinüber, die sich nördlich der Kaserne einen Hügel hochzog. » Muss jetzt fünfzehn Jahre her sein, nicht wahr, Sandy?«
Ich nickte. Ja, fünfzehn Jahre, fast auf den Tag.
» Dann war er wohl schon alt, was?«, fragte Ned.
Phil Candleton sagte: » Er war nicht mehr der Jüngste, aber …«
» Er wurde vergiftet«, sagte Huddie mit rauer, empörter Stimme und verfiel dann in Schweigen.
» Wenn du den Rest der Geschichte hören willst …«, setzte ich an.
» Ja, unbedingt«, sagte Ned sofort.
» … muss ich mir erst noch die Kehle befeuchten.«
Doch gerade als ich aufstehen wollte, kam Shirley mit einem Tablett heraus, auf dem sie einen Teller mit dick belegten Sandwiches – Schinken-Käse, Roastbeef und Hähnchen – und einen großen Krug Red-Zinger-Eistee hatte. » Bleib sitzen, Sandy«, sagte sie. » Ich mach das schon.«
» Kannst du Gedanken lesen?«
Mit einem Lächeln stellte sie das Tablett auf der Bank ab. » Nein. Aber ich weiß, dass Männer durstig werden, wenn sie reden, und dass sie immer Hunger haben. Auch Frauen haben ab und zu Hunger und Durst, ob du’s glaubst oder nicht. Esst, Jungs, und du, Ned Wilcox, isst mir mindestens zwei Sandwiches. Du bist viel zu mager.«
Als ich das voll beladene Tablett sah, musste ich an Bibi Roth denken und daran, wie er mit Tony und Ennis gesprochen hatte, während sein Team – seine Kinder, die damals nicht viel älter waren als Ned jetzt – Eistee trank und Sandwiches aß, die aus derselben Küche stammten, in der sich fast nichts geändert hatte. Auch die Zeit wird von Verkettungen zusammengehalten, glaube ich.
» Jawohl, Ma’am.«
Er lächelte ihr zu, aber das wirkte eher pflichtbewusst als spontan, fand ich. Dann sah er wieder zum Schuppen B hinüber. Das Ding hatte ihn mittlerweile in seinen Bann gezogen, wie im Laufe der Jahre schon so viele Männer. Und einen braven Hund, nicht zu vergessen. Und als ich mein erstes Glas Eistee trank – der schön kalt war und meiner ausgedörrten Kehle wohltat, mit richtigem Zucker gesüßt und nicht mit diesem faden, künstlichen Zeug –, hatte ich Zeit zu überlegen, ob ich Ned Wilcox gerade überhaupt einen Gefallen tat, ob er überhaupt glauben würde, was jetzt noch kam. Vielleicht würde er einfach aufstehen und wütend und bockig weggehen, weil er glaubte, dass ich mich über ihn und seine Trauer nur lustig machte. Das war nicht auszuschließen. Huddie, Arky und Phil konnten die Geschichte bestätigen – und Shirley auch. Sie war zwar noch nicht bei uns gewesen, als der Buick kam, hatte aber viel gesehen – und auch viel getan –, seit sie Mitte der Achtziger in der Leitstelle angefangen hatte. Doch vielleicht würde der Junge es trotzdem nicht glauben. Es war eben auch ganz schön happig.
Aber jetzt war es für einen Rückzieher schon zu spät.
» Und was ist dann wegen Trooper Rafferty weiter passiert?«, fragte Ned.
» Nichts«, sagte Huddie. » Seine hässliche Visage hat’s nicht mal in eine Vermisstenanzeige auf ’ner Milchtüte geschafft.«
Ned sah ihn unsicher an, wusste nicht, ob Huddie das ernst meinte oder nicht.
» Nichts ist passiert«, sagte Huddie noch einmal, diesmal leiser. » Das ist ja das Fiese, wenn einer verschwindet, Junge. Was mit deinem Vater passiert ist, ist schrecklich, und ich würde dir nie was anderes einreden. Aber wenigstens weißt du es. Das ist doch schon mal was, oder? Du hast einen Ort, wo du hingehen und Blumen niederlegen kannst. Oder dein Annahmeschreiben vom College.«
» Das ist aber nur ein Grab«, sagte Ned auf eine eigenartig geduldige Weise, bei der mir beklommen zumute wurde. » Das ist ein kleiner Flecken Erde, und darunter ist eine Kiste, und in der Kiste ist etwas, was die Uniform meines Vaters trägt, das aber nicht mein Vater ist.«
» Aber du weißt, was mit ihm passiert ist«, beharrte Huddie. » Aber bei Ennis …« Er spreizte die Hände und drehte dann die Handflächen nach oben wie ein Magier nach einem guten Zaubertrick.
Arky war reingegangen, wahrscheinlich auf Toilette. Jetzt kam er wieder und setzte sich.
» Alles ruhig?«, fragte ich.
» Ja und nein, Sarge. Von Steff soll ich dir ausrichten, dass der Funkverkehr wieder gestört ist. So kleine, kurze Störungen. Du weißt schon, was ich meine. Und das DSS spinnt auch wieder. Der Fernseher kriegt nichts mehr rein.«
Steff war Stephanie Colucci, Shirleys
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