Der Buick: Roman (German Edition)
Leuten zu erzählen, sie könnten davon so viel essen, wie sie wollten, das wäre nämlich Wissen und das würde ihnen nicht schaden – es würde sie frei machen.« Er hielt inne. » Aber es ging da noch um was anderes.«
» Um was?«, fragte Ned.
» Um Verschwiegenheit«, sagte Huddie. » Polizisten können Geheimnisse für sich behalten, und Curt und Tony waren der Meinung, dass Wissenschaftler das nicht können. ›Guck dir doch bloß mal an, wie schnell diese Idioten die Atombombe auf der ganzen Welt verbreitet haben‹, hat Tony mal gesagt. ›Die Rosenbergs haben wir deswegen auf den elektrischen Stuhl geschickt, aber wenn man nicht ganz plemplem ist, weiß man doch, dass die Russen die Bombe zwei Jahre später sowieso gehabt hätten. Und wieso? Weil Wissenschaftler gern miteinander plaudern. Das nennen sie dann ‚kollegial sein‘. Das Ding da draußen im Schuppen B mag ja vielleicht nicht so was wie die Atombombe sein, aber eventuell ja doch. Und eins ist mal sicher: Diese Atombombe gehört keinem, solange sie bei uns unter einer Plane steht.‹«
» Da wussten wir schon von diesen Lichteruptionen«, sagte ich. » Tony war der Meinung, dass sich der Buick, wie bei einer statischen Entladung, dabei von irgendwas befreit. Aber auch von diesen ganzen Gesichtspunkten mal abgesehen, hatten die Leute in Pennsylvania – nicht nur wir, sondern alle – Ende der Siebziger einen sehr guten Grund dafür, Wissenschaftlern und Technikern nicht über den Weg zu trauen.«
» Three Mile Island«, sagte Ned.
» Ja. Und außerdem verheilen an dem Wagen nicht nur Kratzer, und er ist auch nicht nur staubabweisend. Da ist noch eine ganze Menge mehr.«
Ich verstummte. Wieder hatte ich stumpfsinnige Arbeit vor Augen: reihenweise Betten, die zu machen, stapelweise Geschirr, das abzuwaschen, hektarweise Heu, das zu mähen und einzufahren war. Es war mir alles zu viel. Aber jetzt hatte ich mal damit angefangen.
» Mach schon, erzähl’s ihm«, sagte Arky. Er klang fast verärgert, ein angesäuerter Bandleader im Dämmerlicht. » Du hast ihm schon erzählt, dass das alles nur Quatsch war. Jetzt erzähl ihm auch den Rest.« Er sah zu Huddie hinüber und dann zu Shirley. » Auch das von 1988. Ja, sogar das.« Er hielt inne, seufzte und sah zum Schuppen B hinüber. » Jetzt könnt ihr nicht mehr zurück, Jungs.«
Ich stand auf und ging über den Parkplatz. Hinter mir hörte ich Phil sagen: » Nee, nee. Lass ihn gehen, Kleiner. Der kommt gleich wieder.«
Das ist auch so was, wenn man der Sergeant Commanding ist: Die Leute haben tatsächlich meistens recht, wenn sie so was sagen. Es sei denn, es funkt einem ein Schlaganfall, ein Herzinfarkt, ein betrunkener Autofahrer oder sonst etwas dazwischen, von dem wir Sterblichen hoffen, es sei » höhere Gewalt«. Wer das Sagen hat – wer hart gearbeitet hat, um bis dahin zu kommen, und weiter hart arbeitet, um dort zu bleiben –, sagt nicht einfach scheiß drauf und geht angeln. Nein. Wir, die wir das Sagen haben, machen weiterhin die Betten, spülen das Geschirr ab und bündeln auch weiterhin das Heu, und zwar so gut wir nur können. Ach, Mann, was würden wir ohne dich bloß machen?, sagen die Leute. Und die Antwort darauf lautet, dass die meisten von ihnen auch weiterhin das machen würden, was sie wollen: auf die gleiche alte Tour zum Teufel gehen.
Ich stand am Tor von Schuppen B und sah durch eines der Fenster auf das Thermometer. Die Temperatur war auf elf Grad gesunken. Immer noch nicht weiter schlimm – jedenfalls nicht richtig schlimm –, aber doch schon so kalt, dass ich annahm, dass sich der Buick vor Anbruch der Nacht noch ein-, zweimal regen würde. Es hatte also noch keinen Zweck, die Plane wieder drüberzuziehen; das mussten wi r da nn wahrscheinlich hinterher gleich noch einmal machen.
Es lässt langsam nach – das war die allgemeine Ansicht über den Roadmaster, die Lehrmeinung nach Schoondist und Wilcox. Er läuft ab wie ein Uhrwerk, schnurrt aus wie ein Kreisel, piept wie ein Rauchmelder, der nichts mehr merkt. Suchen Sie sich am Grabbeltisch eine Metapher aus. Und vielleicht stimmte es ja. Und vielleicht auch nicht. Im Grunde wussten wir nichts darüber. Dass wir uns einredeten, wir verstünden etwas davon, war nur eine Taktik, damit wir auch weiterhin ohne allzu viele Albträume Tür an Tür damit leben konnten.
Ich ging zurück zur Bank, steckte mir noch eine Zigarette an und setzte mich zwischen Shirley und Ned. Ich fragte ihn: » Willst du hören, wie
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