Der Buick: Roman (German Edition)
Eddie Js Leben zu wie in einem Song von George Jones. Er wollte schon aufstehen, aber ich legte ihm meine Hand auf den Unterarm. » Das würde es aber, Eddie.«
» Hä?«
» Es würde mir etwas ausmachen. Ich möchte gern, dass du noch etwas bleibst.«
» Boss, ich muss wirklich …«
» Bleib noch ein wenig«, sagte ich. » Du bist diesem Jungen vielleicht auch etwas schuldig.«
» Ich weiß nicht, was …«
» Curtis hat dir doch damals bei den O’Days das Leben gerettet, nicht wahr?«
Eddie zog abwehrend die Schultern hoch. » Also, ich weiß nicht, ob man sagen könnte, dass er mir nun unbedingt …«
» Ach, hör doch auf«, sagte Huddie. » Ich war doch dabei. Und ich war auch mit dir zusammen, als damals, ’88, der Tanklaster den Schulbus gerammt hat und wir ganz allein in der Kaserne waren.«
» Ich war auch dabei«, murmelte Shirley. Sie war blass und sah ängstlich aus.
Der Tag, an dem der Tanklaster verunglückt war, und wer dabei gewesen war und wer nicht – das interessierte Ned nicht, zumindest noch nicht. » Mein Vater hat dir das Leben gerettet, Eddie? Wie das?«
Eddie zögerte noch und gab dann nach. » Er hat mich hinter einem Trecker in Deckung gebracht. Die Geschwister O’Day …«
» Die schaurige Saga der Geschwister O’Day erzählen wir ein andermal«, sagte ich. » Heute veranstalten wir hier eher eine kleine Exhumierungsparty, Eddie, und du weißt, wo eine der Leichen begraben liegt. Und das meine ich, wie ich es sage.«
» Huddie und Shirley waren auch dabei. Die können …«
» Ja, das waren sie. Und George Morgan auch, glaube ich …«
» Ja, das stimmt«, sagte Shirley leise.
» … aber na und?« Ich hielt immer noch Eddies Handgelenk und hatte durchaus Lust, fest zuzudrücken. Ich mochte ihn, hatte ihn immer gemocht, und er konnte tapfer sein, hatte aber auch eine feige Ader. Ich weiß nicht, wie diese beiden Charakterzüge nebeneinander in einem Menschen bestehen können, aber so war es; ich habe es schon öfter selbst erlebt. Eddie war vor Angst erstarrt, als Travis und Tracy O’Day mit ihren schicken Milizmaschinengewehren aus den Fenstern ihres Farmhauses das Feuer eröffnet hatten. Curt musste seine Deckung verlassen und ihn an der Jacke in Sicherheit zerren. Der verdammte Idiot Eddie J hätte fast dafür gesorgt, dass sie beide umgebracht wurden. Und jetzt versuchte er sich hier um seinen Teil der anderen Geschichte zu drücken, in der Neds Vater eine so entscheidende Rolle gespielt hatte. Nicht weil Eddie damals irgendwas falsch gemacht hätte – das hatte er nicht –, sondern weil die Erinnerungen daran schmerzlich und Angst einflößend waren.
» Sandy, ich sollte wirklich besser mal die Biege machen. Ich hab noch ’ne Menge zu erledigen, und …«
» Wir erzählen diesem Jungen gerade von seinem Vater«, sagte ich. » Dem Mann, der dir vor sechs Jahren das Leben gerettet hat, falls du das vergessen hast. Und ich finde, Eddie, du solltest jetzt ganz ruhig da sitzen bleiben, vielleicht ein Sandwich essen und ein Glas Eistee trinken und abwarten, bis du mit dem Erzählen dran bist.«
Er ließ sich wieder auf dem Ende der Bank nieder und sah uns an. Ich weiß, was er in den Augen von Curts Sohn sah: Verwirrung und Neugier. Und in unseren Augen? Tja, keine Ahnung. Wir waren schon so ein richtiger Ältestenrat, wie wir da um den jungen Mann herumsaßen und ihm die alten Kriegslieder vorsangen. Und wenn dann alle Lieder gesungen waren? Wäre Ned ein junger Indianerkrieger gewesen, dann hätten wir ihn möglicherweise anschließend zu einer Art Feuertaufe losgeschickt – bringe das richtige Tier zur Strecke, erlebe die entsprechende Vision, während das Herzblut des Tiers noch an deinem Mund klebt, und kehre als Mann wieder. Vielleicht wäre alles viel einfacher gewesen, überlegte ich, wenn Ned anschließend eine Probe hätte bestehen und auf irgendeine Weise Reife und Einsicht hätte zeigen können. Aber so läuft das nun einmal heutzutage nicht. Zumindest im Großen und Ganzen nicht. Heutzutage kommt es viel mehr auf Gefühle als auf Taten an. Ich finde, das sollte andersrum sein, aber auf mich hört ja keiner.
Und Eddie? Was sah Eddie in unseren Augen? Groll? Ein Fünkchen Verachtung auch? Vielleicht sogar den Wunsch, er hätte den Laster mit dem Schlapper angehalten, und nicht Curtis Wilcox, und Bradley Roach hätte ihn stattdessen umgebracht? Der zu Übergewicht neigende Eddie Jacubois, der zu viel trank und dem wohl bald ein zweiwöchiger
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