Der Bund der Drachenlanze - 08 Michael Williams
Jahren, und die andere… die andere
jetzt.«
Fassungslos legte Mara ihren Kopf an den Baumstamm.
Die Lichtung drehte sich über ihr, und sie mußte sich Mühe
geben, nicht die Besinnung zu verlieren. Inzwischen erzählte der Elf – die Spinne – in ihren Armen die mitleiderregende Geschichte, wie der böse Zauberer Calotte ihn aus
seinem Netz im Wipfel einer dicken, schwarzblättrigen Eiche gezogen hatte, um ihn so lange einzusperren, bis er
seine schreckliche Magie ausüben konnte.
»Denn du mußt wissen«, erläuterte Cyren, dessen Atem
flacher wurde und dem die Haare naß und stumpf am
Kopf klebten, »der Zauberer hat mir diese Gestalt verliehen, um dich zu ihm zu locken. Er dachte, du würdest…
dich ihm ausliefern, um mich zu befreien, und dann… nun,
dann sollte ich eine Spinne bleiben und du…«
»… bei meinem Mann Calotte oder für immer aus meinem Volk ausgestoßen, um einsam und verlassen in Wildnis
und Öde umherzuziehen«, schloß Mara schwach, denn sie
erinnerte sich an die strengen Worte des Gesetzes der Qualinesti über das anständige Benehmen von Jungfrauen. »Aber wieso hat er eine Spinne in dich verwandelt? Wieso
nicht… sich selbst eine schönere Gestalt verliehen, so daß
trotz seines schwarzen Herzens das Auge eines Mädchens… auf ihn fallen könnte?«
»Er wollte dich, Mara. Und er wollte, daß du zum alten,
häßlichen Calotte kommst, obwohl du genau wußtest, wer
vor dir stand.«
»So ein Plan kann nur aus dem Abgrund stammen!«
murmelte Mara, deren Trauer langsam zu Wut wurde.
»Und doch… brachte es mir eine Welt voll Licht und
Gemeinschaft, die nicht mehr am Rand des Netzes aufhörte, und eine Weile gab es für mich plötzlich Tage und Jahreszeiten und Worte.«
Cyren lächelte bei dem Gedanken daran, doch seine Augen schienen sich auf einen fernen Punkt zu richten. Seine
Stimme wurde schwach, die Worte kamen nur noch mühsam.
Cyren sah sie mit überwältigender Zärtlichkeit an, und
einen Augenblick erinnerte sich das Elfenmädchen an die
grünen Boote und die Nachrichten auf dem Thon-Thalas.
»Tut… tut es sehr weh, Cyren?« fragte sie und begegnete
seinem goldenen Blick. Und so hielt sie ihn, als sein Blick
fern und glasig wurde, als seine Mandelaugen rund, lidlos
und geteilt wurden, als er im Sterben die Gestalt annahm,
die ihm eigen war. Sie blieb in der schattigen Lichtung bei
einer zusammengesunkenen Spinne sitzen, und ihre Gedanken schwankten zwischen Staunen und Leid.
Kapitel 6
Von Licht und Schatten Die beiden saßen auf ihren Pferden und überblickten die
Vingaardfurt.
Die Furt acht Meilen südlich von Burg Vingaard war der
meistbenutzte Weg vom Westen Solamnias in den Osten.
Die alten Karawanenwege kreuzten den Fluß an dieser
steinigen Stelle, und in den ältesten solamnischen Lehren
zu Geographie und Überlebenskunst hieß es, daß alle Wege
in die Berge, Schlösser und Türme, die die alte Region
schützten, stets hier über den Fluß geführt hatten.
Das war ein veralteter Lehrsatz. Es gab ein Dutzend Übergänge über den Vingaard, manche davon verborgen,
manche vom Maßstab verboten, aus Gründen, die tief im
Zeitalter der Macht verborgen lagen. Dennoch überquerten
die Händler aus Kalaman, Nordmaar und Sanction den
Fluß immer noch an der Vingaardfurt, wo die Wachen der
Burg sie vor Räubern und Schlimmerem bewahrten.
Doch die Wachen mußten einen Augenblick zur Seite gesehen haben, oder der Nebel, der aus dem Fluß hochzog,
mußte gemeinsam mit der besonderen Finsternis dieser
mondlosen Nacht jede Sicht von den Burgtürmen unmöglich gemacht haben, denn die beiden ritten unbemerkt zu
den Ufern der Furt. Die Hufe ihrer Pferde hörte man nur
gedämpft, weil sie in Stofffetzen eingewickelt waren.
Der kleinere Mann beugte sich im Sattel nach vorn und
nieste, denn er war das lange Reiten und die feuchte Nachtluft nicht gewohnt.
»Pst!« warnte der Größere, der nach den Zügeln seines
Gefährten griff. »Mit soviel Getöse lenkst du noch einen
Pfeilregen auf uns herunter, Derek Kronenhüter!«
»Ich verstehe das alles nicht, Sir«, flüsterte Derek. »Heimliche Missionen mitten in einer kalten Nacht ganz im Osten, bei unserer Abreise wird allen Dienstboten Stillschweigen befohlen, und du bedrohst mich von den Flügeln des
Habbakuk bis hier, als würden wir in die Schlacht ziehen.«
»Was wir vielleicht auch tun«, erwiderte Bonifaz, der
seine Kapuze zurückwarf. »Was wir vielleicht auch weit
über deine
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