Der Bund der Drachenlanze - 08 Michael Williams
ein Bild, das einer Lichtflut folgt. Er dachte an Cyren, dann an Mara, doch die Gedanken versanken wieder in Finsternis und Schlaf, und der
Nachmittag war von Träumen erfüllt, an die er sich nie erinnern würde.Plötzlich war das Bett im Karren von Licht
überströmt. Sturm blinzelte, holte erschrocken Luft, versuchte, sich aufzusetzen, und kippte gelähmt vom Fieber
wieder um. Starke Hände machten sich an ihm zu schaffen,
dessen war er sich sicher, und das Licht über ihm wurde
schneller, wie es so durch die Blätter und Nadeln fiel, und
die Luft war augenblicklich frisch und voller Pinienduft.
Einmal vermeinte er, Jack Derry über sich stehen zu sehen, aber die Luft war so grün und grell, daß er sich nicht
sicher war. Zweimal hörte er Gesprächsfetzen, die von den
Dryaden stammen mußten, denn die Stimmen waren hoch,
rein und musikalisch wie der Klang von gläsernen Windpfeifen.
»Stirbt er?« fragte die eine, und »Ach, was«, antwortete
die andere.
Dann erschrak er und versuchte vergeblich, sich zu bewegen. Denn wer sich über ihn beugte, war die Druidin
Ragnell, die nach Kräutern und Torf roch. Ihr runzliges
Gesicht war ein einziges Rätsel.
Sie haben mich nach Dun Ringberg zurückgebracht,
dachte Sturm, dessen Angst und Zorn mit dem Fieber stiegen. Aber das Gesicht über ihm verschwamm, als wenn es
von aufgestörtem Wasser gespiegelt wurde, und als es
wieder klar wurde, war es schön und dunkel und grünäugig, das Gesicht einer höchstens vierzigjährigen Frau, deren
schwarzes Haar von einem glänzenden Stechpalmenkranz
gekrönt war.
Sturm sah in den Tiefen ihrer Augen die Lady Ilys, aber
es war nicht Ilys. Trotz seines Fiebers wußte er das genau.
»Laßt uns anfangen«, flüsterte sie, und hinter ihr begann
ein ganzer Vogelschwarm zu singen.Der ruhige Teich vor
Sturm kräuselte sich von einem Windhauch, und der Baum
öffnete sich um ihn herum, um eine Art rustikalen Stuhl
anzubieten, damit er ruhig und ungestört schlafen konnte.
Schwatzend, die dünnen Röcke über die Knie hochgehoben, tanzten die Nymphen in den Wald hinein und ließen
den verwundeten Solamnier mit den anderen dreien zurück. Ob Lady Hollis’ Heilkünste erfolgreich sein oder fehlschlagen würden, war ihnen gleichgültig, nachdem das
großartige Schauspiel des Zweikampfes zwischen Ritter
und Baumriese seinen spektakulären Schluß gefunden hatte.
Und sie haßten Lady Hollis, die verschrumpelte, alte
Druidin, die drüben in Dun Ringberg unter dem Namen
Ragnell bekannt war und die nach ihren Angriffen auf solamnische Schlösser vor gut sechs Jahren eine kleine Berühmtheit geworden war. Aus unerfindlichen Gründen
hatte der Herr der Wildnis sie als Braut erwählt.
Diona, die nie so recht glauben konnte, wie dumm die
Menschen waren, drehte sich noch einmal um, bevor Vertumnus hinter einem Dickicht blauer Ewigkeitsbäume überhaupt nicht mehr zu sehen war. Sie legte die Hand an
ein kleines Bäumchen, teilte die Zweige und spähte auf die
Lichtung. Einen Augenblick glaubte sie besorgt, daß die
Druidin unglaublich jung aussah, daß ihre Haare schwarz
und ihr Rücken geschmeidig und gerade war.
Evanthe rief nach ihr, so daß die kleinere Nymphe anmutig kehrtmachte und in den Wald lief. Die Zweige des Ewigkeitsbaums, die sie berührt hatte, waren plötzlich über
und über mit weißgoldenen Blüten bedeckt.
Natürlich sahen weder Vertumnus noch Jack Derry, die
in der Lichtung neben der Druidin standen, wie alt die
Frau war, die anmutig neben dem verwundeten Jungen
kniete. Ihre makellosen Züge waren besorgt verzogen.
»Kannst du ihn retten, Mutter?« fragte Jack Derry, worauf die Frau ihn ansah.
»Es war richtig, daß du ihn so schnell zu mir gebracht
hast«, stellte sie fest. »Du hast deine Sache gut gemacht,
mein Sohn. Jetzt sind dein Vater und ich an der Reihe.«
»Du hast durch den Blitz also Frieden gefunden?« fragte
Jack, dessen Stimme vor Sorge zitterte.
»Es gibt Zeiten«, entgegnete die Druidin, »wo das Gesetz
sich dem Mut und dem Herzen beugt. Der Baumhirte wird
heilen, und das Gesetz wird überleben.«
Sie lächelte Jack zu und widmete sich wieder Sturm. Jetzt
breitete sie die Arme über ihm aus, so daß ihr Mantel ihn
ganz umgab. »Bringt erst die Eule her«, flüsterte sie.
Der Vogel zwinkerte, hüpfte Vertumnus von der Schulter, breitete die Flügel aus und glitt lautlos durch die Lichtung, um in den Zweigen über dem Bewußtlosen Platz zu
nehmen.
»Jetzt«, hauchte Hollis.
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