Der Bund der Drachenlanze - 08 Michael Williams
automatisch um und redeten, und als Vertumnus
weitersprach, ging Raistlin hinein und verschwand. Den
zitternden Caramon ließ er am Tor des Turms zurück.
Sturms Herz fühlte mit Caramon, der allein am Rand des
Mysteriums wartete. Ohne den Zwilling lag die Hälfte des
großen Kriegers im Schatten begraben.
»Er… er ist wie eine fadenscheinige Flagge!« flüsterte
Sturm, und neben ihm nahm Vertumnus das Erzählen
wieder auf. Irgendwann trat Raistlin aus dem Turm in das
Traumlicht, und Caramon stand auf, um ihn zu begrüßen.
Das war nicht mehr Raistlin, sondern ein verrenkter, gebrochener Mann, der seine Hand hob, mit den Daumen auf
seinen sich nähernden Bruder zeigte… und…
Die Magie jagte durch seinen Körper und flammte aus seinen
Händen hervor. Er beobachtete, wie das Feuer flackerte, wie es
einen Ring bildete und Caramon einzingelte.
Sturm schrie auf und bedeckte seine Augen. Das konnte
nicht sein! Das konnte auch keine Prophezeiung sein!
Raistlin und Caramon waren in Solace. Niemand würde sie
nach Wayreth schicken, wenn Wayreth sie überhaupt aufnehmen würde.
Und Raistlin. Raistlin würde doch nie…
Vertumnus legte ihm die Hand auf die Schulter.
»Keine Angst, Sturm«, flüsterte Vertumnus, als er Sturms
Arm ergriff. »Ich bin bei dir. Versteck dich nicht vor mir.«
Sturm wollte sich losreißen, doch der Herr der Wildnis
hielt ihn nur noch fester.
»Verstehst du, Sturm?« flüsterte Vertumnus, dessen Atem nach Zedernholz roch. »Verstehst du jetzt?«
Dann merkte Sturm, wie er sich hob. Die Zweige teilten
sich vor seinem Flug, und plötzlich trug ihn eine frische,
kühle Brise in den Herbsthimmel, wo über ihm das blaue
Zeichen für Unendlichkeit funkelte, bis er in einen kurzen,
traumlosen Schlummer fiel.»Jetzt schicken wir ihm den
zweiten Traum«, drängte Hollis, die sich die schwarzen
Haare aus dem dunklen Gesicht strich. »Denn jetzt wird
der Junge leben. Da bin ich sicher. Er hat sich aus dem Dickicht des Todes erhoben, und jetzt wird er leben. Die Raben werden entscheiden, wie.«
Die Raben waren während des ersten Lieds und Traums
leise krächzend über ihnen gekreist. Jetzt saßen die drei
Vögel vieldeutig auf den Zweigen eines riesigen Vallenholzbaums. Sie waren so groß wie kleine Hunde und
krächzten ihr Lied so trocken, als würden sie es am liebsten
überhaupt nicht singen. Hollis legte dem Jungen ein anderes Heilkraut, diesmal eine graue Lotusblume, an die Lippen, und bei der Berührung und dem Geschmack erschauerte er. Einen Augenblick schien es, als würde eine gehörnte Streitaxt über Sturm schweben, die unbarmherzig auf
Schuldige wie Unschuldige herniederfahren würde. In diesem bedrohlichen Licht ließ sich Sturm zum Lied der Raben vom zweiten Traum gefangennehmen.
Diesmal war er im Turm des Oberklerikers auf den Zinnen und blickte auf den Hof.
Sturm schwebte im Rauch der Lagerfeuer über den Soldaten. Denn im Turm lagerten Soldaten, die sich an die
Mauern drängten, welche sie vor dem Winter, dem Schnee
und etwas anderem beschützten, etwas… das draußen vor
diesen Mauern wartete.
So hatte sich Sturm eine Belagerung immer vorgestellt. Er
schluckte nervös und trieb von Feuer zu Feuer, immer getragen vom Rauch der Flammen.
Es waren gemeine Fußsoldaten. Manche trugen das Zeichen Uth Wistans, manche das der Merkenins, manche das
der Kronenhüter – alles durcheinander. Alle trugen die
Zeichen einer geschlagenen Armee. Sie waren vom Schnee
durchnäßt, ihre Augen blickten stumpf und gehetzt vor
sich hin. Die Ritter streiften wie Viehhüter zwischen ihnen
hindurch, ohne daß zwischen Ritter und Soldat ein Wort
fiel.
»Was ist das?« rief Sturm dem einen Ritter zu. »Was ist…
hat Neraka…«
Ohne ihn zu hören, drehte der Ritter sich um und starrte
durch ihn hindurch. Es war Gunthar Uth Wistan, der mit
grauen Haaren und grauem Bart fast nicht zu erkennen
war.
Was auch geschehen war, er mußte durch die Schlacht
um zehn Jahre gealtert sein. Plötzlich wurde es im Hof totenstill. Das Gemurmel der Armee, das Knistern des Feuers
und das Geklirr vom Waffenputzen verschwanden, und
eine vertraute Stimme erhob sich neben ihm.
Vertumnus stand auf den Zinnen – ausgerechnet in der
Rüstung der Blitzklinges! Er war wild und unbändig, ein
grüner Angriff Feuerklinge, und Sturm war von der Ähnlichkeit überwältigt. Der Herr der Wildnis zeigte auf den
Hof und begann wieder mit tiefer, eindringlicher Stimme
zu erzählen.
Während er sprach, trat eine
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