Der Bund der Drachenlanze - 08 Michael Williams
hatten. Tivok hatte den vieren, die oben am Fluß an dem frischen Damm warteten, ein Zeichen
gegeben, falls der Wanderer dem ersten Hinterhalt wider
Erwarten doch entkommen würde.
Die sechs übrigen Söldner mußten sich sehr anstrengen,
um den alten Schurken zu überwältigen, der sich bis zuletzt heftig wehrte und dabei zwei von ihnen verletzte. Tivok stellte die Verwundeten am Damm auf und ersetzte sie
durch ausgeruhte Kämpfer.
Von seinem Aussichtspunkt konnte Tivok nicht erkennen, daß der dritte Reisende eine Frau war, besonders da
sie angesichts der rasch fallenden Temperaturen dick eingepackt war. Auch sie hatte tapfer gekämpft und war vom
Wetter begünstigt gewesen. Einer der Assassinen war sogar
einem kräftigen Stoß ihres Schwerts zum Opfer gefallen,
doch als er zu Stein wurde, wie das bei seiner Art so war,
blieb die Klinge in ihm stecken, und ihr fester Griff um die
Waffe riß sie vom Pferd.
Die anderen fünf hatten sie wie riesige Aasfliegen mit
dunklen, zuckenden Flügeln umschwirrt.
»Wie lange sollen wir noch bei solchem Wetter unsere
Zeit verschwenden?« fragte einer von ihnen Tivok, als sie
den Körper des Mädchens in einem flachen Grab am Flußufer begruben.
»Noch eine Zeitlang«, zischte Tivok, der die Kapuze zurückschlug, um seine abfallende Stirn mit dem Zackenkamm und den kupferroten Schuppen zu zeigen. »Noch
eine Zeitlang.« Er legte seine Schulter an ihren toten Kameraden und stieß die große Steinfigur um, damit der tote
Assassine für alle, die sich näherten, wie ein Findling oder
eine unschuldige, braune Felsnase aussehen würde.
»Nimm es als… Übung, Nashif«, schlug Tivok mit unterschwelliger Warnung in der Stimme dem Fragesteller vor.
»Nimm es als Manöver.«
Nashif konnte dem nichts entgegensetzen. Schweigend
schlüpften die fünf Assassinen in die Schatten zwischen
den immergrünen Bäumen. Zwei von ihnen blieben kurz
stehen, um ihre Klingen abzulecken.Sturm war knapp zwei
Meilen vor der Furt, als sie das Mädchen begruben. Er ritt
die ausgeruhte, aber merkwürdig unruhige Luin und hatte
sich gegen den überraschend zurückgekehrten Winter tief
in seinen Mantel gehüllt.
Er war bereits dabei, seine letzte Begegnung mit dem
Herrn der Wildnis zu vergessen.
Er hatte sich nicht mehr lange in Dun Ringberg aufgehalten. Zwar war er noch einmal durch die überwucherten
Ruinen gelaufen und hatte sich nach Spuren von Ragnell,
Mara, Jack Derry oder Vertumnus selbst umgesehen, doch
der Ort war menschenleer und das Dickicht so dicht, daß er
hätte schwören können, das Dorf wäre schon siebzig Jahre
verlassen, nicht erst sieben Tage.
Daß er Mara verloren hatte, machte ihm am meisten zu
schaffen. Irgendwie schien es gegen den Maßstab zu sein,
sie zurückzulassen, ohne zu wissen, was mit ihr geschehen
war. Und doch hatte er in seinen seltsamen, heilenden
Träumen geglaubt, er hätte ihr Gesicht gesehen. Hatte sie
sich nicht während seiner fiebrigen, wachen Momente zwischen den Dorfbewohnern aufgehalten?
Irgend etwas sagte ihm, daß Mara sicher war, daß für sie
gesorgt wurde, obwohl er sich fragte, ob er dieses Gefühl
auch gehabt hätte, wäre er nicht müde und auf den Aufbruch versessen gewesen.
Am Nachmittag gab er auf. Nachdem er Luin gesattelt
hatte, ritt er vom Dorf aus auf die Ebene von Lemisch. Am
Spätnachmittag überquerte er den südöstlichen Arm des
Vingaard genau an dem Punkt, wo ihm, Jack und Mara die
Banditen aufgelauert hatten. Als er am jenseitigen Ufer aus
dem Wasser stieg, fühlte er sich unbeschwert, als wäre ihm
etwas geheimnisvoll Forderndes abgenommen worden.
Er schlief unruhig an einer Stelle, wo er den Fluß noch
hören konnte, und träumte von Bonifaz und Schnee und
Messern.
Früh am nächsten Morgen ritt er wieder nach Nordwesten, geführt von seiner Erinnerung. Es hatte wenig Sinn,
sich nach den Planeten zu richten, denn während er im
Finsterwald gewesen war, hatte sich der Himmel verändert. Chislev, Sirion und Reorx waren an ihre alten Plätze
zurückgekehrt, und wenn man sich nicht nach dem Kalender, sondern nach den Planeten gerichtet hätte, hätte man
meinen müssen, es wäre noch Winter.
Das Wetter war auch wirklich kühl geworden, und nach
dem frühlingshaften Tag, an dem Sturm seine Heimreise
begonnen hatte, fiel am nächsten Abend bereits Eisregen.
An einem kleinen Eichen- und Erlenwäldchen machte er
halt. Diesmal baute er sich geschickt einen groben Unterstand, wobei er im stillen dem Elfenmädchen
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