Der Bund der Drachenlanze - 09 Ellen Porath
Unehrenhaftigkeit ums Leben gekommen.« Er brach ab.
Die Haut über seinen spitzen Wangenknochen schimmerte
rot.
Kitiara nickte besänftigend. Bei sich aber dachte sie:
Nein. Tanis würde ihr bei den Purpurjuwelen keine große
Hilfe sein.Das Dorf hatte so viel Charme wie abgestandenes
Bier.
Tanis und Kitiara zügelten die Pferde. Der Ort bestand
aus zwei kurzen Hauptstraßen und einigen blaßgrauen
Häusern, von denen manche nur aus einem einzigen großen Raum mit Strohdach bestanden. Statt mit Glas besetzt,
waren die Fenster mit eingefettetem Pergament bespannt.
Ein Haus, das größer war als die anderen, stach heraus. Der
Besitzer hatte ihm einen dunkelbraunen Anstrich verpaßt.
Neben dem warmen Braun des großen Hauses wirkten die
grauen Gebäude wie tot. Ein Lattenzaun und eine Doppelreihe hoher Stockrosen zogen sich um das Haus, und die
strahlenden, rosaroten Blüten hellten den ansonsten trostlosen Ort auf. Die Gefährten sahen keine Einwohner.
Kitiara schnupperte und zeigte auf die offenstehende
Vordertür des braunen Hauses. »Gewürze und Hefe«, sagte
sie. »Riechst du’s auch?«
Tanis war abgestiegen und war bereits auf dem Weg zu
dem Gebäude. »Vielleicht verkauft der Besitzer uns etwas
Brot«, rief er zurück. Kitiaras leerer Magen knurrte zustimmend.
Kitiara blieb auf Obsidian sitzen, während Tanis auf die
Veranda des braunen Hauses sprang, den Türklopfer betä
tigte, kurz abwartete und dann eintrat, obwohl er von
drinnen keine Antwort gehört hatte. Das Dorf hatte keinen
Mietstall, kein Gasthaus, wo ein Reisender einen Krug Bier
trinken konnte, aber darin unterschied es sich nicht von
Dutzenden anderer Dörfer, in denen Kitiara über die Jahre
haltgemacht hatte. Irgendwer in solchen Orten war normalerweise bereit, Fremden gegen entsprechende Bezahlung
etwas zu trinken anzubieten.
Doch dieser Ort hier wirkte verlassen. Türen und Fensterläden waren fest geschlossen. »Jemand zu Hause?« rief
Kitiara. Obsidian, die die Belagerungen im Sturmangriff
mitgemacht hatte, stand ruhig da. Ihr einziges Lebenszeichen war der zuckende, schwarze Schwanz, denn es wimmelte von Fliegen.
Schließlich quietschte eine Tür. »Was wollt ihr in Meddow?« erklang eine schneidende Frauenstimme durch den
Türspalt. »Was macht dei n Freund in Jarlburgs Laden? Wir
haben viele Männer hier, alle mit Schwertern und Streitkolben bewaffnet. Wir können uns verteidigen. Verschwindet.«
Kitiara unterdrückte ein Lächeln. Ja, ja, sich verteidigen!
Sie versteckten sich wie die Kaninchen. Die Kriegerin nahm
den He l m ab. »Wir sind auf dem Weg nach Haven. Wir
wollen nur etwas zu essen und zu trinken, weiter nichts.
Und« – sie machte eine bedeutsame Pause – »ich kann bezahlen.«
Wieder eine Pause. Dann trat zögernd eine Frau mittleren Alters in bäuerlichem Rock, Tuch um die Schultern und
Lederschuhen auf die Veranda der Hütte neben dem braunen Gebäude. In den Händen hielt sie eine große, hölzerne
Häkelnadel mit einem grünen Faden, der anscheinend am
Rückenteil eines Kinderpullovers hing. Ihre Hände standen
keinen Augenblick still, sondern häkelten weiter. Die Spitze der Häkelnadel senkte und hob sich unablässig, wie ein
emsiges Eichhörnchen. Kitiara verfolgte den handgesponnenen Faden bis in eine ausgebeulte Tasche vorne am Rock
der Frau. Alle paar Schlingen zog die Bäuerin an dem Faden, so daß die Tasche zuckte und aus dem Knäuel darin
eine neue Länge Garn abgespult wurde.
»Ich kann euch Wasser geben, aber zu essen habe ich
nichts übrig«, sagte die Frau nervös. Ihr Blick wanderte
immer wieder von Kitiara zum Boden der Veranda und
zurück.
»Kein Brot?« fragte Kitiara. »Aber ich rieche doch die Hefe.«
»Wir haben… hatten…« Die Frau holte tief Lu ft und setzte neu an. »Jarlburg…« Ihr Mut verließ sie, und sie drückte
die Häkelnadel an die zitternden Lippen, um dann damit
auf die offene Tür des braunen Hauses zu zeigen. »Da.«
Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Jarlburg ist auch tot.
Ich weiß es einfach. Einer nach dem anderen von uns
stirbt.«
»Auch tot?« wiederholte Kitiara, die Obsidian etwas zurückzog. »Wieso denn – eine Seuche?« Sie bekam eine Gänsehaut. Mit jedem lebenden Gegner nahm Kitiara es bereitwillig auf, aber eine Seuche? Keiner auf Krynn wußte,
woher Krankheiten kamen, auch wenn manche Leute sagten, daß die Kleriker und Heiler der alten Götter vor der
Umwälzung solche Krankheiten geheilt hätten. Heutzutage
behaupteten die Sucher der neuen Religionen,
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