Der Bund der Drachenlanze - 10 Ellen Porath
Zauberin hinter
dem Ettin. Kitiara fluchte.
»Ganz schön laut«, stellte der Ettin fest. Kitiara klappte
den Mund zu. Res-Lacua deutete auf den Gipfel des Berges, der nur noch wenige Schritte entfernt war. »Hoch.«
Auf der Spitze des Fieberbergs war es kalt und windig.
Lidas Kapuze flatterte im Wind, und ihre Haare wurden
fast gerade nach hinten gerissen. Haltsuchend klammerte
sie sich an Kitiara. Der Ettin fummelte an der schmutzigen
Haut herum, die seinen Körper bedeckte. Kitiara flüsterte
ihrer Begleiterin zu: »Was macht er denn jetzt?« Lida schüttelte nur den Kopf.
Von der Rieseneule war keine Spur zu sehen. Wollte der
Ettin sie töten? In diesem Fall würde ihm das kaum kampflos gelingen. Kitiara blickte sich nach einer Waffe um, doch
alles, was sie sah, war Schiefer. Sie waren so hoch oben,
daß hier nichts mehr wuchs.
Der Ettin hielt summend einen glatten, grauen Kieselstein vor sich hin. »Meister, Meister«, sagte er ehrfürchtig.
»Was ist das?« wollte Kitiara wissen.
»Magie«, flüsterte Lida.
Kitiara kniete sich unbemerkt hin, um zwei zackige Stücke Schiefer aufzuheben. Der Ettin war zu beschäftigt, um
es zu bemerken. Eines der Stücke gab Kitiara der Zauberin.
»Fertigmachen«, warnte die Kriegerin. Lida antwortete
nicht.
Der Ettin griff wieder in seine Haut, aus der er ein zweites kleines Ding zog. Kitiara hielt den Atem an, als sie es
erkannte. Der Purpurjuwel war unverwechselbar, denn er
sah genauso aus wie die, die in ihrem Packsack versteckt
waren – die, die sie Janusz gestohlen hatte. Lila Blitze zuckten aus dem Kristall, und ein lautes Summen übertönte das
Brausen des Windes. Das violette Licht umgab den Ettin.
Dann nickte der Ettin, als ob er einer unhörbaren Anweisung folgte, und drehte sich dabei zu den Frauen um. Er
hielt den grauen Kiesel in der einen Hand und den Eisjuwel hoch über seinem Kopf in der anderen. Als er auf Kitiara und Lida zukam, begann das Schimmern in der Luft
rund um die drei sich auszubreiten.
Sie wurden von Luftteilchen umwirbelt. »Schnee?« flüsterte Kitiara. Lida, die von dem Schauspiel ganz gebannt
war, sagte gar nichts.
Die Teilchen wirbelten weiter herum. Sie glitzerten scharlachrot, lila, tiefgrün, golden und weiß. Kitiara hörte die
Zauberin etwas murmeln. Das Wirbeln steigerte sich zum
Sturm, als der Ettin auf sie zukam.
Kitiara konnte sich nicht rühren. Janusz’ Magie hatte sie
bereits erfaßt, und schreckerfüllt sah sie zu, wie Res-Lacua
und Lida – und sie selbst – sich in der wirbelnden Magie
auflösten, die sich um sie herum immer mehr zusammenzog, immer schneller kreiste, bis es so aussah, als stünden
die drei Gestalten im Zentrum einer großen Windhose. Das
purpurne Licht und das magische Summen wurden stärker, bis Kitiaras Augen und Ohren nichts anderes mehr
wahrnahmen.
Dann verschwanden sie in einem amethystfarbenen
Blitz.Als Xantar und die anderen zu dem Tal kamen, bemerkte die Rieseneule die seltsame Szene auf der Spitze des
Fieberbergs. Mit vergeblichem Geheul schlug Xantar mit
den Flügeln und versuchte, auf den höchsten Punkt zuzusteuern, denn nur er mit seinen scharfen Augen konnte sehen, was geschah. Aber er war zu schwer, um schnell zu
sein; seinen großen Flügeln machte der Wind zu schaffen.
Caven und Tanis sahen verwirrt zu, ohne sich zu rühren.
»Was hat denn der Vogel?« murmelte Caven. »Wir sind
doch da, oder? In dem Tal? Also, wo ist Kitiara?«
»Merkst du denn nichts?« unterbrach ihn Tanis. »Wie die
Luft aufgeladen ist?« Er legte eine Hand an den Kopf und
fühlte, wie seine Haare an seiner Hand hängenblieben. Er
kämpfte gegen sein Entsetzen an, obwohl er sich plötzlich
völlig machtlos vorkam.
Caven hatte sich im Sattel umgedreht und starrte den
Halbelfen verwirrt an. Dann blickte der Kerner zu der Eule
hoch, die sich kreischend nach oben bewegte. »Was es auch
ist, es läßt euch beide durchdrehen«, sagte der Söldner.
Aber Tanis hörte nicht zu. »Wir kommen zu spät!« schrie
er und zeigte an Caven vorbei zum Gipfel des kahlen Berges im Norden. Ein glitzernder Wirbel drehte sich um die
Bergspitze. Er schien seine Energie aus dem Boden selbst,
ja, sogar aus ihren eigenen Körpern zu saugen. Jetzt wankte
auch Caven im Sattel, und Tanis mußte ihn stützen. In diesem Augenblick schien die Bergspitze zu explodieren. Als
die Explosion jedoch vorüber und das Glitzern erloschen
war, sahen die Felsen aus wie zuvor.
»Das waren sie«, sagte Tanis gefühlvoll. »Sie
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