Der Bund der Drachenlanze - 10 Ellen Porath
Tanis verabschiedete sich schweigend von
dem Kerner. Die Eisblöcke gaben allmählich nach. Im Eingang zögerte Dreena. Sie sah sich nach dem Zauberer um,
der sie geliebt hatte, und nach ihrem Vater, der sie verraten
hatte, doch Tanis schob sie hinaus in den Gang.
Der Zauberer war auf dem Podest in sich zusammengesunken. Der Valdan versuchte, den dreien hinterherzukriechen, brach aber nach wenigen Fuß zusammen.
Schnee rieselte durch die Decke, bis ein weißgrauer
Schleier einen Vorhang vor den Raum mit den Toten und
Sterbenden zog.
»Tanis! Schnell!«
Tanis folgte Dreena den Gang entlang. Plötzlich waren
die Eiswände nicht mehr beleuchtet, so daß sie sich in absoluter Finsternis wiederfanden.
»Janusz ist tot. Und mein Vater auch«, sagte Dreena
schlicht. »Shirak.«
Zauberlicht glühte um sie her und beleuchtete ihren
Weg. Dreena hielt angesichts der vielen Gänge verwirrt
inne. »Hier entlang«, schrie der Halbelf. Geführt von dem
Zauberlicht rannte er einen Gang hinunter, obwohl Kitiara
schwer auf seiner Schulter lastete. Bald sah Tanis das Seil,
das zusammengerollt an dem Portal über dem Kerker hing.
Rutschend kam er vor der Öffnung zum Stehen. »Kannst
du uns durch die Spalte aufsteigen lassen?« fragte er die
Zauberin.
»Ich weiß es nicht«, gab sie zur Antwort. »Ich kann es
vers…«
Ein Donnern unterbrach ihre Worte. Die beiden sprangen
zurück, als Tonnen von Schnee von oben in das Verlies
stürzten.
»Die Spalte«, sagte Dreena dünn. Im Zauberlicht war ihr
Gesicht blaß wie Porzellan.
»Gibt es einen anderen Weg nach draußen?« fragte Tanis.
»Nicht daß ich wüßte.« Dann packte Dreena den Halbelf
am Arm und zerrte ihn wieder den Gang hoch. »Janusz’
Zimmer!« rief sie über die Schulter. »Seine Bücher!«
Viele Gänge waren inzwischen eingebrochen. Tanis, der
Kitiaras Gewicht trug, trat vorsichtig über die Eisstücke
und den eingedrungenen Schnee, der ihnen den Weg versperrte. Er sah den leuchtenden Kreis aus Zauberlicht
durch eine Tür verschwinden und folgte.
Nun wurde die Geduld des Halbelfen auf eine harte Probe gestellt. Während der Eispalast rundherum in sich zusammenbrach, mußte er abwarten, denn Dreena blätterte in
den Pergamenten und Büchern des Zauberers herum. Als
sie dann vor Freude aufjubelte und sich in ein gebundenes
Pergament vertiefte, mußte er weitere, schier endlose Minuten warten, in denen sie sich den passenden Spruch genau einprägte.
Eine Wand von Janusz’ spartanischem Quartier lag inzwischen in Trümmern. Das schmelzende Eis ächzte und
stöhnte. Tanis mußte praktisch schreien, um gehört zu
werden. »Kannst du den Spruch nicht einfach ablesen?«
Dreenas lange Haare schwangen mit, als sie den Kopf
schüttelte. »Zauberer müssen sich die Sprüche einprägen,
um sie richtig anwenden zu können. Jetzt sei still.« Sie
klappte das Buch zu und schloß die Augen. Ihre Lippen
bewegten sich, doch kein Ton erklang. Dann begann sie zu
singen: »Collepdas tirek. Sanjarinum vominai. Portali vendris.« Nichts geschah. Dreena blickte sich um, während Tanis von
einem Fuß auf den anderen trat. Kitiara, die er über seine
Schulter gelegt hatte, stöhnte. Dann griff Dreena nach einem Kästchen aus Rosenholz mit lebensechten Schnitzereien von Stiermenschen und Thanoi. Sie öffnete es. Violettes
Licht strahlte in ihr Gesicht. Sie umfaßte den einzelnen
Stein. »Collepdas tirek. Sanjarinum vominai. Portali, vendris.« Ihre Hände tanzten.
Genau in dem Moment, als die drei aus Janusz’ Zimmer
verschwanden, sackte das Versteck des Valdans krachend
in sich zusammen. Plötzlich strampelten Dreena und Tanis,
der immer noch Kitiara festhielt, in einem eisigen See um
ihr Leben. Um sie herum trieben Minotauren, Walroßmenschen und Ettins.
Tanis hielt Kitiaras Kopf über Wasser, während er sich
nach Dreena umsah. Sie schwamm ganz in der Nähe recht
sicher im Wasser, zitterte aber fast unkontrollierbar.
Ein riesiger Teil des Eisreichs war eingesackt und geschmolzen und hatte sich in einen kalten See verwandelt.
Die Körper erschlagener Menschen aus dem Eisvolk und
toter Eulen trieben überall herum. Tanis sah Thanoi durch
das Wasser schwimmen, die sich in Sicherheit brachten,
ohne auf die Kälte zu achten oder gar den Halbelfen, Kitiara und Dreena wahrzunehmen. Minotauren, die durch ihre
schwere Metallausrüstung behindert waren, kämpften mit
den Wellen. Ettins gingen unter, weil ihre Köpfe unweigerlich stritten, ob der feste Boden auf der
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