Der Bund der Drachenlanze - 10 Ellen Porath
ist, mitten in der
dunklen Nacht zu schlafen. Bei mir ist das normalerweise
anders herum.«
»Glaubst du, es geht Kitiara und Lida gut?« fragte Tanis
unvermittelt.
Die Eule überlegte, bevor sie zurückgab: »Ich glaube, sie
leben. Ich denke, wenn Kai-lid tot wäre, würde ich es fühlen.«
»Du hast diesen Namen schon einmal erwähnt. Wer ist
Kai-lid?«
Die Eule zögerte. »Kai-lid Entenaka. Es ist Lidas Düsterwaldname«, erklärte Xantar schließlich. Tanis nickte, denn
er war sich nicht schlüssig, ob er weiter bohren sollte.
Der Halbelf bot der Eule ein Stück Brot aus seinem Proviant an. Der Vogel beäugte das Angebot, wandte dann
jedoch den Kopf ab. »Ich muß jagen«, sagte er nur, bevor er
in das Tal unter ihnen abflog. Tanis lehnte sich an einen
Felsen, kaute sein Brot und erfreute sich an den letzten Farben des Sonnenuntergangs, während er die kleiner werdende Gestalt von Xantar im Auge behielt. Wenn er sich
nicht solche Sorgen um Kitiara gemacht hätte, wäre es fast
schön gewesen. Xantar war ein kauziger Gefährte, kurz
angebunden und leicht sarkastisch im Ton, aber das war
Flint Feuerschmied schließlich auch. Als Tanis so am Felsen
lehnte und träge die Bewegungen der Eule verfolgte, die
über das Gelände strich, merkte er, wie seine Augenlider
wieder schwer wurden.
Er schreckte aus dem Schlaf hoch, als etwas vor ihm auf
den Boden fiel. Instinktiv sprang er auf. Das Schwert hatte
er in der Hand, obwohl er sich nicht daran erinnern konnte,
daß er es gezogen hatte. Doch kein Goblin oder Slig stand
vor ihm. Eigentlich konnte Tanis in der Dämmerung überhaupt keine Bedrohung erkennen. Sein Blick fiel auf den
Boden. Ein totes Kaninchen lag verrenkt auf den Felsen.
Als er aufblickte, entdeckten seine nachtsehenden Augen
weit oben Xantar.
Mit Brot kommst du nicht weit, Halbelf.
Tanis winkte dankend hinauf. Dann sammelte er trockenes Gras und Zweige und fand unter einem toten Baum ein
paar Äste. Er war auf einem der wenigen Gipfel mit Baumbestand, was Xantar offenbar bedacht hatte, als er einen
Landeplatz ausgesucht hatte. Tanis kratzte die innere Rinde der Äste ab und fügte den Bast seinem Zunderhaufen
hinzu, den er auf die windabgewandte Seite eines Felsens
trug. Dann schlug Tanis Flint auf Stahl. Immer wieder stoben die Funken, bis einer schließlich zündete. Vorsichtig
fütterte der Halbelf den Funken mit trockenem Gras und
Reisig, bis er zur Flamme wurde. Bald saß er vor einem
anständigen Lagerfeuer, an dem er das Kaninchen häutete,
ausnahm und in Scheiben auf einen langen, entrindeten Ast
schob. Er steckte den Stab zwischen zwei Steine und sog
den Duft ein, als das Kaninchenfett zischend ins Feuer
tropfte.
Xantar kehrte zurück, als Tanis gerade das gebratene Kaninchen vom Feuer nahm. Der Vogel landete auf dem Boden, hielt sich aber in sicherer Entfernung von den Flammen. Der Halbelf wollte ihm etwas abgeben, doch Xantar
schüttelte den Kopf.
»Gekochtes Fleisch ist nichts für meinen Gaumen«, sagte
der Riesenvogel. »Meiner Ansicht nach zerstört Feuer den
Geschmack.«
Während Tanis aß, ging – oder watschelte, wie der Halbelf für ihren Gang zutreffender fand – die Eule zu einer
krummen Pinie, wo sie es sich auf einem Aststumpf gemütlich machte. Sie schloß die Augen und vergrub ihren goldenen Schnabel tief im blassen Flaum ihrer Kehle.
Tanis lehnte sich mit angenehm vollem Bauch an den
warmen Felsen und starrte Xantar an. Einmal öffnete die
Rieseneule ein Auge, als ob sie das Starren des Halbelfen
bemerkt hätte, dann drehte sie sich auf dem Ast um, so daß
sie dem Halbelfen ihre dunkle Rückseite zuwandte. Tanis
sah, wie die verhornten Krallen sich um den Ast schlossen.
Dann schien der Vogel zusammenzusacken, und Tanis
wußte, daß sein Gefährte eingeschlafen war.
Kapitel 5
Das Eisreich
Es war die Kälte des Todes, da war sich Kitiara sicher. Gesicht, Brust und Hüften lagen im Schnee. Die Vorderseite
ihres Hemds war durchnäßt, und ihr Rücken war so steif,
als wäre er von Eis überzogen und gefroren. Ihre Füße waren schwer wie Baumstümpfe. Ihr dämmerte, daß ihre
rechte Hand noch immer das Stück Schiefer vom Fieberberg umklammerte. Weit in der Ferne krachten Wellen.
Etwas näher hustete jemand.
Wenn das der Abgrund war, glich er keinem Abgrund,
vor dem man sie je gewarnt hatte. Sie mußte tot sein, doch
Kitiara fühlte die Kälte, schmeckte den Schnee, verspürte
Hunger. Sie hörte etwas, was wie der Ettin klang, der sich
Weitere Kostenlose Bücher