Der Bund der Drachenlanze - 10 Ellen Porath
hatten.
»Es hatte natürlich Gerüchte gegeben, daß jemand sehr
Mächtiges auf den Gletscher gekommen sei, aber die Zerstörung von Haudos und Terves Dorf war der erste Beweis
für uns, daß es eine böse Macht war. Seitdem kommen fast
täglich Nachrichten von neuen Angriffen.« Brittain wandte
sich ab, denn er schien mit starken Gefühlen zu kämpfen.
Als er Tanis wieder ansah, war sein Gesicht gefaßt, aber
blaß. »Bitte vergib mir. Terves und Haudos Mutter war
meine Schwester.«
Brittain zwang sich, in sachlichem Ton mit seinem Bericht fortzufahren. »Wir haben gehört, daß der Böse unter
dem Eis lebt und daß der Eingang zu seinem Bau nahezu
unsichtbar ist. Aber unsere Spione haben ihn gefunden und
können ihn auf einer Karte exakt zeigen. Und was noch
besser ist, sie können uns hinführen. Sieh nur! Einer von
ihnen übt mit deinem Freund, auf einer Eule zu reiten.«
Noch während dieser Worte fegten vier Eulen so dicht
über ihre Köpfe hinweg, daß sie fast die Spitzen der Eisvolkhäuser berührten. Vier Männer in Pelzmänteln klammerten sich an die Hälse ihrer Vögel und schrien in einer
fremden Sprache. Caven, der Klecks ritt, gab von hinten die
Richtung an. Der Anblick ließ den Anführer des Eisvolks
milde lächeln. »Sie rufen in der Zunge unserer Väter den
Eisbären um Schutz an«, erklärte er. Dann wurde er wieder
ernst.
»Wir haben schauerliche Gerüchte über diesen Bösen gehört, und sie werden mit jedem Tag schlimmer«, sagte Brittain, der sich neben einem Haus auf eine Eisbank setzte.
Als er auf den leeren Platz neben sich wies, setzte auch Tanis sich hin.
»Gerüchte?« fragte der Halbelf nach.
Brittain nickte. »Von tödlichem Eis, das seine Opfer festhält, bis sie sterben – oder durch Magie befreit werden. Unser Verehrter Kleriker hat eine Salbe, die seiner Meinung
nach das Eis schmelzen läßt, aber er gibt zu, daß er noch
keine Gelegenheit hatte, sie auszuprobieren.«
Tanis merkte sich das, drängte den Anführer jedoch fortzufahren.
»Wir wissen, daß der Böse… daß dieser Valdan einen
mächtigen Zauberer hat. Wir wissen, daß der Zauberer alt
und gebrechlich wirkt, und unser Verehrter Kleriker ist der
Meinung, daß die Kraft des Zauberers durch den Druck
dieses Valdans nachläßt. Darum haben wir Grund zu hoffen. Aber die jüngsten Gerüchte sind besonders beunruhigend.«
»Und weshalb?«
»Angeblich hat der Valdan einen neuen Kommandanten
mit großer praktischer Erfahrung, der die feindlichen
Truppen in den letzten Tagen zu einem tödlichen Angriff
auf ein Dorf des Eisvolks geführt hat.«
»Was weißt du über diesen neuen Kommandanten?«
drängte Tanis.
»Nur, daß es sich um eine Frau handelt.«
Tanis merkte, wie er blaß wurde, doch er sagte nichts.
Caven und seine Schüler aus dem Eisvolk kamen ausgelassen von ihrem Übungsflug zurück. Brittain scheuchte alle
in das große Mittelhaus zum Abendessen – und zum Pläneschmieden.
Kapitel 9
Der Angriff
Kniend wartete Tanis im Eisvolkdorf darauf, daß der Verehrte Kleriker mit Xantars Bestattung begann. Hinter dem
Halbelfen hatten mehrere hundert Eulen Stellung bezogen.
Zu dieser Jahreszeit herrschte im Eisreich das, was man
dort als Frühling bezeichnete, doch die Zeichen hierfür waren spärlich. Der bitterkalte Winter wurde etwas milder.
Die windgepeitschten Bergzüge lagen immer länger im Tageslicht, und die Zeit der Dämmerung dehnte sich aus.
Obwohl das Lärmen des Eisvolks Caven und Tanis mitten
in der Nacht geweckt hatte, war es noch immer hell genug,
um ohne Hilfe der Walroßöllampen sehen zu können.
Tanis hatte sich gegen Cavens Murren taub gestellt. Er
trug seine mitgenommene Reisekleidung, über die er einen
langen Mantel aus schwarzem Robbenfell geworfen hatte.
Der Halbelf hatte die seitlichen Säume des Mantels wie Caven und die Eisvolkkrieger unten mit dem Dolch aufgeschlitzt, damit er den warmen Pelz auch auf dem Rücken
der Rieseneulen bequem tragen konnte. Die Dorfbewohner
hatten Stunden damit zugebracht, Harnische aus Seehundshaut anzufertigen, die dem glichen, den Tanis jetzt in
seinen Packsack steckte, doch ihre wiesen eine kleine Veränderung auf: eine Schlinge, die den Eissplitterer der Eisvolkkrieger halten sollte. Nachdem Tanis noch die Maske
zum Schutz vor Schneeblindheit eingesteckt hatte und in
die gefütterten Stiefel geschlüpft war, die Brittain ihm geborgt hatte, stampfte er zur Tür. Er mußte sich tief bücken,
um ins Freie zu treten. Die
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