Der Bund der Drachenlanze - 10 Ellen Porath
sich magische Mittel befanden.
Doch Janusz’ nächste Worte waren freundlich. »Sehr
schön«, sagte er. Er ließ das Seil hinunter. »Komm hoch.«
Sie versuchte es, aber ihr Mantel und die Angst, das klebrige Eis zu berühren, behinderten sie. Schließlich sagte Janusz einen Spruch und kam zu ihr heruntergeschwebt. Er
legte eine Hand auf ihre Schulter und sagte einen zweiten
Spruch. Anmutig stiegen sie in der Luft auf, kamen auf
gleiche Höhe mit dem Portal und trieben hindurch. Als ihre
Füße den Boden berührten, half Janusz ihr die langen Gänge bis zu seinen Räumen entlang. Sie zwang sich, bei ihm
Halt zu suchen.Xantar hätte das Eisvolkdorf fast übersehen. Die Eingeborenen bedeckten ihre Häuser mit weißen
Pelzen und Schnee, so daß die Siedlung perfekt mit dem
umliegenden Gletscher verschmolz. Xantar war inzwischen
nahezu blind, und die anderen Eulen, deren Augen ebenfalls für die nächtliche Jagd gedacht waren, hatten die gleichen Schwierigkeiten mit dem gleißenden Licht. Es war
Tanis, der den Rauchfaden entdeckte, der aus einer der Behausungen aufstieg. Auf seinen Ruf hin ging Xantar nach
unten, gefolgt von Tanis’ Eule, welcher der Halbelf den
Spitznamen Goldener Flügel gegeben hatte. Danach kam
Cavens Eule, der Tanis wegen ihres Flecks auf der Stirn den
Namen Klecks verpaßt hatte.
Anstatt im Dorf zu landen, bog Xantar im letzten Moment nach Süden ab, wo er die Gruppe auf einer freien Fläche ganz in der Nähe herunterführte. Das Feld lag außerhalb der Mauer aus gewaltigen, übermannshohen Rippenknochen, die das Dorf begrenzte. Schweigend landete der
Rest der Eulenstreitmacht. Wieder einmal staunte Tanis
über die Disziplin, die diese Vögel zeigten. Sie konnten geräuschlos fliegen, wie gerade eben, oder – durch eine leichte Änderung in der Federstellung – mit dem durchdringenden Schlag dahinbrausen, der ihn zuvor so verstört hatte.
Zunächst geschah gar nichts. Tanis machte Caven los, der
wieder zu sich kam, um sich gleich über die Kälte und heftige Kopfschmerzen zu beklagen. Mit einem wütenden
Blick brachte Tanis ihn zum Schweigen. Beide Männer waren nicht für den beißenden Wind angezogen, der ungehindert durch ihre Kleider pfiff.
Dann erschien durch eine Öffnung im Rippenzaun eine
einzelne, in Pelze gehüllte Gestalt. Die Gestalt trug einen
Speer und eine glänzende Waffe, die wie eine Axt aus Eis
aussah. Bald schlossen sich der ersten Gestalt ein Dutzend
weitere an, die ähnlich gekleidet und bewaffnet waren. Auf
ein Kommando hin kamen alle gleichzeitig auf die Rieseneulen zu. Tanis rutschte von Goldener Flügel und trat vor.
Caven glitt von Klecks und hielt sich kurz an der Eule fest,
um dann mit unsicheren Schritten dem Halbelfen nachzueilen. Xantar, der die anderen Eulen um einen Kopf überragte und trotz seines Leidens imponierend wirkte, schlurfte
ebenfalls vor. Tanis zog sein Schwert nicht, und als Caven
seine Waffe aus der Scheide ziehen wollte, hielt ihn der
Halbelf mit einer Geste davon ab.
Die beiden Gruppen, eine mit erhobenen Waffen, die andere mit bloßen Händen, beobachteten einander schweigend. Dann gab einer aus dem Eisvolk, ein mittelgroßer
Mann mit dunklem, scharfgeschnittenem Gesicht, seinen
Speer einem seiner Begleiter und klappte mit der freien
Hand seine Kapuze zurück. Er hatte dunkelbraune Haare,
und sein Gesicht war mit Fett beschmiert – zum Schutz vor
Wind und Kälte, wie Tanis erriet. Den Eulen schien die Kälte nichts auszumachen, er und Caven hingegen zitterten.
»Sprecht ihr Gemeinsprache?« fragte der Mann.
»Er und ich schon.« Tanis zeigte auf Caven Mackid und
stellte den Kerner, dann Xantar, Goldener Flügel und
Klecks und schließlich sich selbst vor. Die Rieseneulen rissen die Augen auf, als der Halbelf ihre neuen, menschlichen Namen erwähnte, und Xantar rieb mit einer Klaue
seinen Schnabel. Tanis war schon lange klargeworden, daß
diese Geste bei ihm bedeutete, daß er grinste. Goldener
Flügel und Klecks zwinkerten sich nur zu.
»Ich bin Brittain vom Clan des Weißen Bären. Das hier ist
mein Dorf. Was wollt ihr hier?« fragte der Anführer.
Tanis, der die förmlichen Begrüßungsrituale der Qualinesti kannte, imitierte den zeremoniellen Tonfall des Eisvolkführers. »Wir sind gekommen, um zwei Freunde zu
retten, die von einem bösen Mann entführt und ins Eisreich
gebracht wurden. Wir fürchten um ihr Leben – und das
Leben des Eisvolks –, wenn niemand diesen bösen Mann
aufhält.«
Unter
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