Der Bund der Illusionisten 1
noch keine Antwort gegeben: Wirst du mit mir zu den Apenaden reiten?«
Er breitete in einer Geste der Kapitulation die Arme aus. » Ocrastes hilf, ja, ich komme mit. Aber irgendwann werde ich dich entweder in meinen Armen haltenâ oder ich befreie mich von dem Bann und verlasse dich.«
Wir schrieben beide noch einen Brief, bevor wir aufbrachen; Brands war an Caleh gerichtet, meiner an Temellin. Es war der schwierigste Brief, den ich jemals schreiben musste, und ich sagte darin nicht ein Viertel von dem, was ich ihm hatte mitteilen wollen. Ganz gewiss sagte ich ihm nicht einmal annähernd die ganze Wahrheit.
Temellin, begann ich, wenn du das hier liest, werde ich weg sein â verschwunden aus deinem Leben und aus Kardiastan, vermutlich für immer. Es tut mir leid, dass ich dir Kummer bereitet habe. Was für eine Ironie, nicht wahr? Ursprünglich war es meine Absicht, deinen Tod herbeizuführen, und jetzt mache ich mir Sorgen, dass ich dir Schmerz bereiten könnte ⦠aber vielleicht glaubst du das ja auch gar nicht.
Ich werde losziehen und die Eisernen aufhalten â ja, sie kommen wirklich, ob du es glaubst oder nicht. Ich hoffe, es wird nicht zu einem Kampf kommen, aber wenn es das tut, habe ich alle Absichten, ihn zu gewinnen, und nicht die geringste Absicht zu sterben. Denn ich trage dein Kind in mir. Deinen Sohn.
Trotzdem ist es nicht meine Absicht, in Kardiastan zu bleiben. Ich werde nach Tyrans gehen, um das Kind auf die Welt zu bringen, und dort werde ich bleiben. Ich werde dir den Jungen schicken, damit er seinen Cabochon erhalten kann. Und mach dir keine Sorgen, ich werde alle eure Geheimnisse â die Geheimnisse der Magori â für mich behalten.
Ich schätze, es besteht die Möglichkeit, dass ich nicht lange genug leben werde, um dieses Kind auf die Welt zu bringen. Die Illusionierer haben mir gezeigt, was genau sie von den Magoroth wollen. Ich denke, du weiÃt, worauf ich mich beziehe. Ich werde gegen ein solches Schicksal um meiner selbst willen und um unseres Kindes willen kämpfen, aber sollte ich verlieren, dann soll es wohl so sein.
Ich bedauere nichts. Anfangs habe ich mir eingeredet, dass alles, was ich empfunden habe, nur Lust war, die schon bald abkühlen würde, aber wir wissen beide, dass es sich anders verhält, nicht wahr? Selbst als du vorhattest, mich zu töten, haben wir beide gewusst, wie sehr wir uns lieben.
Ich wünsche dir ein erfülltes Leben, Tem.
Deine Shirin
Kurz bevor wir aufbrachen, gab ich Garis den Brief, der mich unsicher ansah und sagte: » Ich wünschte, ich könnte sicher sein, dass ihr das Richtige tut.« Er lächelte schief. » Unmöglich, ich weiÃ. Aber wie willst du wissen, an welcher Stelle die Eisernen die Apenaden überqueren werden? Du verpasst sie vielleicht.«
» Ich werde sie nicht verpassen. Die Illusionierer werden dafür sorgen«, sagte ich voller Zuversicht. Ich schwang mich auf eines der Sleczs, die er für uns vorbereitet hatte. » Ein erfülltes Leben, Garis.«
Er nickte unglücklich und sah zu, wie Brand und ich aus der Illusionsstadt hinausritten.
Diesmal gab es keinen Jubel.
24
» Dieser Ort bereitet mir eine Gänsehaut«, sagte Brand und sah sich unsicher um. » Er wirkt so unnatürlich.«
Ich zuckte mit den Schultern. » Er ist eine Illusion. Ich finde sie⦠unterhaltsam.« Ich genoss die Aussicht vom Rücken meines Sleczs aus, diese Landschaft aus grünen und blauen Felsblöcken, durch die wir ritten, die Büsche, die vorbeihuschten und dabei versuchten, sich hintereinander zu verstecken wie verängstigte Pelztiere, oder die pinkfarbenen und weiÃen Seen, die in der Ferne kauerten, Baumblüten, die eine klingende Melodie erzeugten, Vögel, die in duftendem Flug an uns vorbeizogen, oder Insekten, die in Booten aus Blütenblättern über die Flüsse trieben.
Hin und wieder sahen wir auch etwas Gewöhnlicheres: einen Karden, der mit einer Wagenladung voller Früchte auf dem Weg in die Stadt war, oder ein Kornfeld, das von Leuten gepflügt und bearbeitet wurde, die uns im Vorbeireiten zuwinkten â ein Anblick, der auch in irgendein kardisches Tal oder an einen tyranischen Fluss gepasst hätte, wenn man mal davon absah, dass sich über ihnen ein malvenfarbener Himmel erstreckte, der mit Kerzenhaltern bestückt war.
Brand musterte das alles mit mürrischer Miene. Er deutete auf den
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