Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Katharerin an? Sie persönlich hatte schließlich weder mit dem Mord an Burkhard noch damit zu tun, dass man eine Unschuldige verdächtigte. Nicht ihr war anzulasten, dass die Menschen ungerecht handelten. Befände sie sich nur schon wieder auf dem Weg in die Champagne. Wie sie sich auf den geregelten Tagesablauf im Kloster freute: die Gebetsstunden, die Studierzeiten, die Mahlzeiten, das Fasten und Beichten, alles folgte dort einer klaren Ordnung und würde sie vom Druck dieser verwirrenden Erlebnisse befreien.
Sie schlug die Augen auf. Während sie aus dem Fenster starrte, spürte Laetitia im Nacken die Kälte des missbilligenden Blicks, den ihr Karolina zusandte. Ging damit ein scharfer Vorwurf einher oder bildete sie sich das ein? Letztendlich kannte die Nonne ihre Lebensgeschichte nicht und hatte somit gar keinen Anlass, ihr Vorhaltungen wegen ihrer damaligen Untätigkeit zu machen. Doch brauchte es in Wirklichkeit keinen Dritten. Laetitias Gewissen sorgte hinreichend dafür, dass Gefühle der Schuld sie plagten. Obwohl sie damals noch ein Kind war, von dem niemand ernsthaft erwartet hatte, dass es gegen das Unrecht einschritt, litt sie seit Jahren darunter, nichts zur Rettung ihrer Mutter unternommen zu haben. Laetitia warf ihre Stirn in Falten. Wenn sie jetzt einfach verschwinden würde, müsste sie sich eingestehen, dass sie vor der Bedeutung dieses Moments floh, eines Moments, den das Schicksal womöglich mit Bedacht für sie ausgewählt hatte. Vielleicht war der Mord an Burkhard ein Fingerzeig des Lebens, eine zweite Chance? Gab ihr Gott die Gelegenheit, jetzt zu handeln, um die vergangene Untätigkeit zu überwinden, die sie quälte?
Immer stärker durchdrang sie die Überzeugung, dass ihr das Leben eine wichtige Aufgabe in die Hände legte, auf die sie in zweierlei Weise reagieren konnte. Entweder nahm sie die Herausforderung an: Das würde all ihren Einsatzwillen erfordern und Mut. Oder sie lehnte ab, was zur Folge hätte, dass die Gewissensbisse, die sie seit dem Tod der Mutter bis in ihr Träume verfolgten, sie auch bei Tag nicht los lassen würden. Noch bevor sie ihre Handlungsmöglichkeiten von allen Seiten beleuchtet hatte, traf sie ihre Entscheidung: Nein, sie konnte nicht nochmals dabei zusehen, dass ein Unschuldiger zum Tode verurteilt wurde. Ruckartig wandte sie sich zu Karolina um: »Man darf nicht einfach zulassen, dass einem Menschen solches Unrecht widerfährt. Ich zumindest bin dazu nicht bereit.«
Die Festigkeit, mit der sie ihre Äußerung hervorbrachte, weckte in ihren eigenen Ohren beinahe so viel Verwunderung wie bei Karolina, auf deren Gesicht sich ein ungläubiges Lächeln abzeichnete.
»Jetzt gefallt Ihr mir«, sprach die Bibliothekarin, nachdem sie ihre Überraschung überwunden hatte, und kam mit ausgebreiteten Armen auf sie zu.
»Der beste Weg zur Rettung der Katharerin ist die Überführung des wahren Mörders, wodurch ihre Unschuld zweifelsfrei bewiesen wäre«, sagte Laetitia. »Und genau das werde ich versuchen. Vergesst nicht, dass es eine Zeugin gab – es besteht also Hoffnung.«
»Ja, wir müssen Brigitta bewegen, von ihrer Beobachtung zu sprechen. Vielleicht hat sie den Täter erkannt.«
Laetitias Augen rundeten sich. »Ihr kennt den Namen der Zeugin?«
»Natürlich, wer kennt den nicht. Solch flammend rotes Haar, wie Ihr es beschrieben habt, besitzt in Trier ausschließlich eine: Brigitta, die Hure. Sie verwendet ein Wunderpulver, das aus dem Morgenland stammt, um ihrem Haar die Farbe von Feuer zu geben.«
»Aber wenn jeder sie kennt, muss es sehr einfach sein, sie zu finden. Das ist großartig«, rief Laetitia aus.
»Ich habe noch eine weitere Idee, wie wir Margund helfen können«, erklärte die Nonne. Gleich morgen gehen wir gemeinsam zu Edgar von Falkenstein, dem Vetter des Grafen von Luxemburg, um ihn um Unterstützung zu bitten. Er ist eine einflussreiche Persönlichkeit und sein Wort gilt in Trier sehr viel. Seitdem ich seinen Sohn Sebastian gesund gepflegt habe, steht er tief in meiner Schuld und wird nicht wagen, mir einen Gefallen zu versagen.«
Über Laetitias Mund zog sich ein Lächeln und der Wagemut ihres Entschlusses übertönte die Stimme der Vernunft. Einzig die Nachtluft, die mit einem Mal eisig und scharf durch den Spalt des geöffneten Fensters drang, schien eine Warnung vor den kommenden Ereignissen zu sein.
Kapitel 3
Die Mittagsonne wurde langsam von den Wolken verhüllt und rote Blätter, die der Wind den Kastanienbäumen
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