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Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Schulligen
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verschwindet. Sehr viele üble Dinge können einem Menschen zustoßen, wenn er etwa auf dem Nachhauseweg in einen finsteren Winkel zwischen Hauptmarkt und Brotstraße gerät. Treibt sich nachts nicht überall Diebespack umher?«
    Wie in Ketten gelegt saß Sebastian da und starrte seinen Vater, dessen Augen sich zu schmalen Schlitzen verengt hatten, mit versteinerter Miene an, als ob er soeben einen Dämon erblickt hätte. »Du meinst ich soll ihn … ?«
    Das hemmungslose Gegröle, das von den Würfelspielern heranrollte, schien wie aus weiter Ferne zu kommen. Bei der Vorstellung, aus einem Hinterhalt heraus einen Menschen zu töten, stiegen vor seinem geistigen Auge Erinnerungen an das Morden und Plündern während der Maximiner Fehde auf. Überall Blut, Elend und nicht vergehen wollender Hass. Und wozu das alles? Bloß weil Albero sich mit seines Vaters Vetter wegen der reichen Benediktinerabtei stritt, die sich dem Erzbischof als ihrem vom König zugewiesenen neuen Herrn widersetzte und sich auf ihre vormalige Reichsunmittelbarkeit berief. Wie viele Menschenleben hatte Alberos Kontrollwille gefordert, hinter dem Sebastian – trotz aller frommen Reden des Erzbischofs – vorwiegend das Streben nach Macht vermutete?
    Sebastian hatte mit seinem Schwert bereits genug Schuld auf sich geladen. Gott allein wusste, wie seine Strafe vor dem Jüngsten Gericht dafür ausfiele. Und nun verlangte sein eigener Vater erneut von ihm, dass er einen Menschen tötete? Und das sogar aus einem feigen Hinterhalt, hinterrücks wie ein Wegelagerer in den nachtfinsteren Gassen Triers, statt ihm Mann gegen Mann gegenüberzutreten? Ein unbändiger Widerwillen schäumte in Sebastian auf. Er würde sich seinem Vater widersetzen. Diesmal aus anderen Gründen als sonst, wenn er sich verstaubten Traditionen verweigerte. Nein, diesmal handelte es sich nicht um ein Kräftemessen mit der väterlichen Autorität, sondern um sein Gewissen und seine Ehre.
    Sicher, er wollte etwas gegen Rupert unternehmen – genau wie der Vater es von ihm verlangte und wie es seines Standes gemäß Pflicht war. Aber er würde es auf seine Weise tun, mit Mitteln, die seinem Wesen entsprachen. »Ich werde gegen diesen Templer vorgehen, wie du es von mir erwartest, Vater«, sagte er fest entschlossen, »aber ich werde es nicht hinterrücks tun, sondern Mann gegen Mann. Und für den Kampf, den ich führen werde, brauche ich kein Schwert. Diesmal werde ich es mit zwei anderen scharfen Waffen versuchen: mit dem Wort und der Wahrheit.«

Kapitel 4
     
    25. Oktober 1147
     
    Die Sonne warf ihr erstes Licht golden über die Stadt und in der Ferne verschmolzen die Weinberge mit dem sich erhellenden Himmel, der einen heiteren Oktobertag versprach. Zu sehr früher Stunde ging Laetitia entlang der Außenseite der Ludolf’schen Mauer, die das gesamte Domareal schützend umschloss, in Richtung des Hauptmarktes. Plötzlich fuhr sie zurück. Mit vor den Mund gepresster Hand unterdrückte sie einen Schreckenslaut. Groß wie drei Ochsenköpfe prangte vor ihr eine widerwärtige steinerne Fratze, die sie mit gefletschten Zähnen, die Zunge herausgestreckt, aus vier Augen Furcht erregend anglotzte. Welchen Schrecken ihr der Neidkopf eingejagt hatte! Er prangte nahe der Mauerecke, um das Domareal nach Westen hin vor Dämonen zu schützen, der Richtung, aus der sie gemeinhin angriffen, um ihr Unwesen zu treiben.
    »Lieber nicht zu dicht herantreten«, flüsterte Laetitia vor sich hin und machte verängstigt ein paar Schritte zurück. Gleich über dem Neidkopf ragte ein mehrgeschossiger Wehrturm auf, dessen Zinnen vom Stolz der darin wohnenden Edelleute zeugten. Daneben nahmen sich die zweistöckigen Häuser der Handwerker, die sich an die Domschutzmauer drängten, wie die Wohnstätten von Zwergen aus. ›Tour‹, dieses Wort war in Laetitias Kopf eingebrannt wie mit Lettern aus Feuer, seitdem es ihr der sterbende Burkhard zugewispert hatte. Ob Burkhard gar diesen Turm, den die Trierer ›Jerusalemturm‹ nannten, gemeint haben könnte?
    Laetitia legte ihren Kopf in den Nacken, um ihren Blick das massive Gemäuer bis zu seinem Dachgesims hinaufwandern zu lassen. Die Tür befand sich vom Straßenniveau her unzugänglich im zweiten Obergeschoss. Ausschließlich durch einen hölzernen Aufgang, der mehr einer Leiter als einer Treppe glich, konnte man hineingelangen. Besonders repräsentativ sah das zwar nicht aus, doch wurde dieser Nachteil mehr als wettgemacht durch den Vorzug, den die

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