Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)
in einer schmutzigen Gasse eine streunende Katze musterte.
Wilhelm begann, mehr zu sich als zu ihr oder Rupert gewandt, zu murmeln. An der Art, wie er die Buchstaben ›R‹ und das ›H‹ aussprach, war erkennbar, dass er es in seiner Jugend gewohnt gewesen war, Französisch zu sprechen. »Erstaunlich, dass Karolina bloß eines ihrer Mädchen schickt. Bei ihrem sonst üblichen Kampfesgeist hätte ich wesentlich mehr persönlichen Einsatz erwartet. Ihre Leidenschaft wird sich nicht etwa abgekühlt haben oder am Ende gar von der Angst um ihr Stift verdrängt worden sein?«
Er richtete seine Augen auf Laetitia und führte in ruhigem, klaren Ton fort: »Na ja, hehre Vorhaben sterben fürwahr schnell, wenn man unter Druck gerät. Ein einziger falscher Schritt zur ungünstigen Zeit – und bedenken wir, dass die Zeit für falsche Schritte niemals ungünstiger war als jetzt, da wir den Papstbesuch erwarten – , gibt Albero alle Argumente der Welt an die Hand, Ansprüche auf das Stift geltend zu machen. Durchaus klug von Karolina, sich bescheiden im Hintergrund zu halten.«
Laetitia verschlug es den Atem. Weit mehr als der Inhalt von Wilhelms Rede erstaunte sie, dass weder Drohung noch Hohn in seiner Stimme lagen. Vielmehr klangen seine Worte sachlich. Man hätte meinen können, es sei nicht von Dingen mit existenzieller Bedeutung die Rede, sondern lediglich von einer kaum nennenswerten Bagatelle. Gerade diese Nüchternheit traf Laetitia wie ein Pfeil und trieb ihr die Röte ins Gesicht. Richtiggehend respektlos wirkte Wilhelms Kühle gegenüber dem Schicksal des Stifts auf sie.
Dabei hatte Karolina ihn in den höchsten Tönen gelobt. Es kostete Laetitia Kraft, ihm nicht ihre Verärgerung ins Gesicht zu schleudern, doch durfte sie nicht wagen, sich ungebührlich zu benehmen. Im Vergleich zu ihm war sie ein Nichts und konnte sich dankbar fühlen, an der Anhörung teilnehmen zu dürfen. Hinzu kam, tröstete sie sich, dass es für deren Verlauf nur von Vorteil sein konnte, wenn ihr eine Person vorstand, die zu distanzierter, emotionsloser Betrachtung neigte, wie es auf Wilhelm augenscheinlich zutraf. Gerade dieses Thronen über den Dingen sprach für seine Befähigung als unparteiischer Richter und ließ einen Hoffnungsschimmer in Laetitia aufkeimen. Gleichzeitig wurde ihr bewusst, dass Wilhelm in der Sache an sich womöglich nicht unrecht hatte.
Ihre Gedanken wanderten zurück zu dem Gespräch, das sie heute Morgen mit Karolina geführt hatte. Tatsächlich hatte die Nonne fahrig gewirkt, als ob sie mehr bedrückte als allein die Sorge um Margund. War sie etwa wieder ins Visier des Erzbischofs geraten? Mittlerweile pfiffen die Spatzen von den Dächern, dass Albero einen Brief des Papstes erhalten hatte. Darin mahnte er ihn, endlich gegen die Sittenlosigkeit einzuschreiten, die sich während der Maximiner Fehde im Bistum Trier ausgebreitet hatte. Seitdem griff der Erzbischof mit aller Strenge durch und hatte sich auf die Fahnen geschrieben, in allen Klöstern des Umkreises dem Schlendrian den Garaus zu machen. Er duldete es nicht mehr, dass sich Kleriker am Kirchenbesitz bereicherten oder gar im Konkubinat lebten. Und auch Karolinas reger Kontakt zu Ungläubigen bot keinen Anlass für Lob.
»Wir wissen doch alle«, fuhr Wilhelm fort, »dass Karolinas Umgang mit Menschen, die sich nicht zum wahren Glauben bekennen oder umstrittene Sitten pflegen, mehr als geringen Grund zur Rüge gibt.«
Vielleicht fürchtete Karolina wirklich, durch den persönlichen Einsatz für eine Katharerin dem Erzbischof in seinem Bestreben Vorschub zu leisten, sich das Stift einzuverleiben, überlegte Laetitia. Und dass Albero die erstbeste Gelegenheit dazu nutzen würde, war sonnenklar.
»Wenn das so ist, haben diese Karolina und ihre Schwestern allen Grund zu Vorsicht«, sprach Rupert ihre Gedanken laut aus. »Man braucht sich nur vor Augen zu führen, welche Maßnahmen Albero ergriff, um die Benediktinerabtei Sankt Maximin zu Raison zu rufen!«
»Ja, immerhin drei Feldzüge seitens des Grafen von Luxemburg hat unsere Stadt deswegen erlitten«, pflichtete Wilhelm ihm bei.
Wie recht er hatte. Wenn Albero es mit den mächtigen Benediktinern und sogar Heinrich von Luxemburg aufgenommen hatte, um den ihm vom König verliehenen Anspruch auf die Maximiner Abtei mit allen Mitteln durchzusetzen, würde er wegen eines kleinen Stifts wohl kaum zimperlich sein. Jeden Fehler Karolinas würde der Erzbischof für seine Zwecke nutzen. Gar nicht
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