Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)
»Verflucht«, zischte er, als ihm klar wurde, dass der Templer sein neugieriges Starren bemerkt hatte. Blitzschnell gab er vor, mit dem Bierkrug beschäftigt zu sein, den der wohlbeleibte Wirt ihm soeben vor die Nase gestellt hatte.
»Ich fürchte, dass der Kerl vorhat, eine Weile in Trier zu bleiben«, erklärte sein Vater in gedämpftem Ton. »Karolina, die Bibliothekarin aus dem Nonnenstift, hat mich gestern gemeinsam mit einem Mädchen aufgesucht und wusste zu berichten, dass man eine der Katharerinnen in den Kerker geworfen hat, weil man sie des Mordes an Burkhard verdächtigt. Wird dir schon zu Ohren gekommen sein.«
Sebastian zuckte die Achseln. So wie Burkhard, der einst ein sehr beliebter Mann gewesen war, sich seit dem Tod seiner Söhne mit allem und jedem angelegt hatte, erstaunte ihn sein gewaltsamer Tod nicht. Gleich eine Handvoll Männer und Frauen wusste er zu nennen, die Burkhard mit Hasstiraden provoziert und damit zu seinen Feinden gemacht hatte. Wenn die Katharerin ihn ermordet hatte, hatte sie gewiss ihre Gründe dafür. Verwunderlich schien Sebastian einzig, dass man sich die Mühe machte, das Mädchen in den Kerker zu werfen, anstatt es gleich aufzuknüpfen. Schließlich stand der Galgen bereits eine Weile ungenutzt vor dem Nordtor und die Leute wären gewiss dankbar für ein Schauspiel, das ein bisschen Abwechslung brachte.
Andererseits musste Erzbischof Albero unbedingt für eine lückenlose Aufklärung des Mordes an Burkhard sorgen, wollte er seinen Ruf nicht gefährden. Weit über die Stadtmauern von Trier hinaus wusste man, dass zwischen ihm und dem Ermordeten eine erbitterte Feindschaft herrschte. Keinesfalls durfte sich der Erzbischof erlauben, sich mit der erstbesten Lösung zufrieden zu geben und einen Verdächtigen richten zu lassen, dessen Täterschaft nicht zweifelsfrei feststand. Viel zu heftige Spannungen prägten das Verhältnis zwischen Albero und dem weltlichen Adel, als dass er sich das leisten könnte. Wieso Vater allerdings abschweifte und von dem Templer auf dieses Thema zu sprechen kam, verwirrte Sebastian sehr. Was hatte das eine mit dem anderen zu tun?
Als ob er die Gedanken hinter seiner Stirn lesen konnte, fügte Edgar an: »Es wird kein Schöffengericht geben, aber eine Anhörung, bei der die Katharerin sich zu den Mordvorwürfen äußern kann. Und rate mal, wer sich anerboten hat, die Klagerede gegen das Mädchen zu führen und – für den Fall, dass der Schuldvorwurf sich nicht erhärtet – versprochen hat, nach Burkhards Mörder zu suchen?«
Wenige Sekunden zeigte sich grenzenlose Verwunderung auf Sebastians Gesicht. Dann fuhr seine Faust polternd auf die hölzerne Tischplatte herab. »Verdammt noch mal!«
»Pst«, zischte sein Vater, als sich einige Köpfe neugierig zu ihnen umwandten und die Nasen erst wieder in die dampfenden Suppennäpfe steckten, nachdem sie mit enttäuschter Miene festgestellt hatten, dass sich keine spannende Keilerei anbahnte.
»Ihr wollt nicht etwa andeuten, Albero hat akzeptiert, dass sich dieser fremde Kerl in Trierer Angelegenheiten einmischt?«, fragte Sebastian erbost.
Der Vater schwieg, doch erwartete Sebastian ohnedies nicht wirklich eine Antwort auf seine Frage. Sonnenklar leuchtete ihm ein, dass Albero gar nichts anderes übrig blieb, als das Angebot des Templers zu akzeptieren. Eine Ablehnung könnte als Affront ausgelegt werden, und das wollte der Erzbischof gerade jetzt nicht riskieren. An der päpstlichen Synode sollte nämlich auch Bernhard von Clairvaux teilnehmen, der wohl der glühendste Verfechter der Templer auf Gottes Erde war. Wie hatte sich Albero abgemüht, Trier erneut mit der Aura des hoch angesehenen Zisterziensers Bernhard, der keine unwesentliche Rolle als Schlichter in der Maximiner Fehde gespielt hatte, Glanz zu verleihen. Diesen Prestigeerfolg wollte Albero sich keinesfalls verderben.
»Wenn du mich fragst, will sich dieser Templer in Wirklichkeit bloß Ansehen in den Augen des Adels und der reichen Trierer Bürger verschaffen«, fuhr sein Vater fort. »Wenn es ihm tatsächlich gelingt, den Mörder eines bedeutenden und wohlhabenden Mannes wie Burkhard rasch seiner angemessenen Strafe zuzuführen, wird sein Wort sehr stark an Gewicht in Trier gewinnen. Nicht wenige werden ihm aufgrund dessen in anderen Dingen Gehör schenken und womöglich ihre ablehnende Haltung zum Kreuzzug überdenken.«
Sebastian ballte vor Zorn die Fäuste, denn die Mutmaßungen seines Vaters bereiteten ihm größte Sorge.
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