Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)
sandte rotgoldene Strahlen durch die Fensterreihe, die Wilhelms silbriges Haar hell leuchten ließen. Als ob der helle Schein seinem Aufruf zur Versöhnung einen besonderen Akzent verleihen wollte. Ruperts fester Willen, sich seinen Sieg nicht entreißen zu lassen, ließ sich von diesem Spiel der Sonne allerdings nicht beugen: »Jawohl, es geht hier nicht um das Fasten, sondern um Mord. Wenn niemand Stichhaltigeres vorbringen kann, was uns an der Schuld des Mädchens zweifeln lässt, als ein lächerlicher Verweis auf seine Körpergestalt, so könnt Ihr, Wilhelm, gewiss noch weitaus schneller als zunächst vermutet Euren Urteilsspruch fällen.«
Laetitia erstarrte. Das durfte nicht geschehen. Wenn die Anhörung zu dem Ergebnis führte, Margund als schuldig anzusehen, kam sie vor ein Schöffengericht, was gleichbedeutend mit dem Galgen war. Noch ehe Laetitia wirklich nachgedacht hatte, sprang sie von der Bank. »Aber die Frau mit dem flammend roten Haar … «, brach es aus ihr hervor. »Ich meine die Frau, die an jenem Abend vor Burkhards Haus mit dem Mörder zusammengeprallt ist und sein Gesicht gesehen hat. Sie kann bezeugen, dass Margund unschuldig ist!«
Während sie aus Wilhelms Augen, der ihr erst jetzt Beachtung schenkte, ein bohrender Blick traf, fuhr Rupert herum und bestürmte sie: Welche Frau sie meine und warum die Frau nicht zur Anhörung erschienen sei, wenn sie etwas beizutragen hätte. Höchstens Sekunden konnte es dauern, bis die entscheidende Frage an sie gerichtet werden würde: Woher sie überhaupt von dieser Frau wisse. Darauf zu schließen, dass sie sich selbst am Ort der Tat aufgehalten hatte, würde für die Männer ein Leichtes sein. In Laetitias Kopf überschlugen sich die Gedanken. Warum hatte sie nicht auf Karolinas Warnung gehört? Wenn sie zugab, am Tatort gewesen zu sein – eine Fremde, für deren Leumund niemand in Trier bürgen konnte – , würde sie der Mittäterschaft verurteilt, bevor sie sich versah. Die Knie wurden ihr schwach. Wie in einem schrecklichen Albtraum hatte sie das Gefühl, in die Tiefe zu fallen.
»Woher wisst Ihr von dieser Frau?« Nicht aus Ruperts, sondern aus Wilhelms Mund schoss ihr die unbarmherzige Frage entgegen. Seine hellen Augen erforschten ihr Gesicht.
Laetitia stand für Sekunden wie in Stein gebannt. Ihre Lippen zitterten, als sie zu einer Erklärung ansetzte, die aber von einem Ausruf Sebastians im Keim erstickt wurde: »Na, woher wohl? Von Margund natürlich!« Beide Hände in die Seiten gestützt, sah er der Angeklagten fest in die Augen und beschwor sie in eindringlichem Ton: »Nicht wahr, Margund? Ihr habt Laetitia vom Fenster des Kerkers aus von der rothaarigen Frau berichtet, die vor Burkhards Haus mit einem Mann zusammenprallte.« Er machte eine Pause. »Dem Mörder Burkhards! Kurz vor Eurem Eintreffen!«
Wie vom Donner gerührt, mit aufgerissenen Augen und kreidebleichem Gesicht starrte Laetitia Sebastian und das Mädchen an. Eine drückende Stille lastete auf dem Saal. Das Herabfallen einer Nadel hätte wie ohrenbetäubendes Scheppern geklungen. Dann geschah, was Laetitia sich erhofft hatte: Das Mädchen nickte schweigend mit dem Kopf.
Kapitel 5
Wie eine Katze dehnte Laetitia vor dem Zehnthaus ihre Glieder und spürte dabei, wie sich die Anspannung, die während der Anhörung ihren Körper durchdrungen hatte, zu lösen begann. Sie hatte wirklich großes Glück gehabt. Um ein Haar wäre sie mit ihrer unvorsichtigen Andeutung in Teufels Küche geraten. Erleichtert, der Fragerei erst einmal entkommen zu sein, spürte sie die wohltuende Frische des Herbstwinds, der sanft und stetig blies, auf ihrer Haut. Mit der Aussicht darauf, dass noch heute Wachleute des Erzbischofs ausschwärmen würden, um die Tatzeugin Brigitta zu suchen, kehrte ihr Mut zurück. Wenn sich erst bestätigte, dass kurz vor Burkhards Ermordung ein Mann aus seinem Haus gestürmt war, würde Margunds Aussicht auf ein gnädiges Urteil um ein Vielfaches ansteigen. Beflügelt von neuer Hoffnung, machte sich Laetitia auf den Weg zum Anwesen des Ermordeten. Sich dort gründlich umzusehen, erschien ihr jetzt die dringlichste Aufgabe.
Burkhards Haus stand seit seinem Tod leer, wie sie von Karolina erfahren hatte, und ein alter Knecht, eine treue Seele, sah jeden Morgen und Abend nach dem Rechten. Die Mittagszeit bot somit die ideale Gelegenheit, sich ungestört am Ort der Bluttat umzutun. Gewiss hatte der Täter Spuren hinterlassen, die womöglich noch besser Zeugnis
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