Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Wilhelm eine solche Äußerung wagte. Wie konnte er tun, als stünde Margunds Schuld unumstößlich fest? Mit einem kurzen Wink gebot er einem der Wachmänner, die Albero für die Anhörung abgestellt hatte, das Mädchen hereinzuführen. Laetitias Körper wurde starr vor Anspannung wie damals, als man ihre Mutter vor den Vogt gezerrt hatte. Eine Pause von wenigen Sekunden verblieb, bis sie den Menschen zu Gesicht bekommen sollte, dessen Schicksal in ihren Händen lag. Den Blick vor Scham gesenkt kam ein Mädchen herein, dessen kastanienfarbenes Haar, das teilweise unter einem Tuch verborgen war, sich an den Schläfen lockte. Als es die Lider emporschlug, wurden sanfte braune Augen sichtbar, die scheu auf Wilhelm blickten, der das Mädchen in die Mitte des Raums befahl. Siebzehn Jahre mochte Margund zählen. Ihr zierlicher Körper unterstrich ihr liebreizendes Gesicht, das vor lauter Angst seine Anmut zu verlieren drohte.
Aufgefordert, sich zu den Vorwürfen zu äußern, berichtete Margund mit zittriger Stimme, dass sie regelmäßig in Burkhards Haushalt nach dem Rechten gesehen habe, so auch an jenem Abend. »Als ich ihn fand, wurde ich vor Schreck fast ohnmächtig. Alles war voller Blut und Burkhard lag darinnen mit geschlossenen Augen und gefalteten Händen. Ihr müsst mir glauben, dass ich unschuldig bin. Niemals hätte ich dem alten Mann etwas zuleide tun können. Gerade ihm, der immer großzügig zu mir war und mir Lohn und Brot bot. Ich habe nichts Böses getan, ich trage keine Schuld an Burkhards Tod!«
Sie brachte ihre Rede mit solcher Inbrunst hervor, dass Zweifel an der Echtheit ihrer Beteuerung kaum Bestand haben durften. Laetitia merkte den Gesichtern der Menschen wohl an, dass ihr Flehen seine Wirkung nicht verfehlte. Vielleicht konnte doch alles gut werden?
»Ich bin gewiss, dass es nicht den geringsten Zweifel an der Wahrhaftigkeit dieser Äußerung geben kann«, ließ sich Sebastian vernehmen. »Wer sehenden Auges ist, muss einfach erkennen, dass es diesem Mädchen an Körpergröße und Kraft fehlt, einem Mann wie Burkhard mit einem Messer zu Leibe zu rücken.«
Wilhelm, dessen Gestalt auf den ersten Blick wie eine knorrige Eiche wirkte, der jedoch in Wahrheit über enorme Energie verfügte, kam entschlossen hinter seinem Pult hervor, damit er das Mädchen eingehender betrachten konnte. Anscheinend überzeugt von Sebastians Worten verfinsterte sich sein Gesicht. »In der Tat, sie ist ein mageres Geschöpf«, knurrte er.
»Wer weiß, zu welcher sündhaften Kraft das Fasten ihrer katharischen Lehre sie befähigt?«, warf Rupert ein.
Laetitia hielt den Atem an. Sie hatte bereits von der Sitte der Katharer gehört, sich halb zu Tode zu fasten, weil sie alles Irdische – damit auch die Früchte der Erde und deren Genuss – als sündig betrachteten.
»Was ist denn so sündig am Fasten?«, fiel Sebastian dem Templer sogleich ins Wort. »Ist nicht Bernhard von Clairvaux ebenfalls in dieser Disziplin geübt? Was dem einen heilig ist, darf dem anderen nicht als sündig ausgelegt werden!«
Ein Lächeln huschte über Laetitias Gesicht. Weder Wilhelm noch Rupert wagten es, Widerworte zu geben. Sebastian hatte mit seinem geschickten Einwurf Ruperts Argumentation den Wind aus den Segeln genommen. Jedermann wusste von der asketischen, ausgemergelten Gestalt des Zisterziensers. Wie wollte man das Fasten der Katharer als sündhaften Wahnsinn abtun, wenn zugleich Bernhard als mächtigste Lichtgestalt der heiligen Kirche das Fasten in exzessiver Weise pflegte?
Rupert, dem der Sinn offenbar überhaupt nicht nach derlei Diskussionen stand, richtete nach der ersten Verblüffung seine scharfe Stimme an Sebastian: »Wie könnt Ihr es wagen, die Gewohnheiten eines der verdientesten Männer unserer Kirche im Zusammenhang mit den profanen Dingen zu nennen, mit denen wir uns hier beschäftigen? Ich werde ein Wort mit Albero wechseln, damit er Euch … «
»Nun ist es aber genug!«, unterbrach ihn Wilhelm entschlossen und hob die Hand mit gebieterischer Geste. »Hört auf zu streiten. Lasst uns vernünftig sein. Gerade jetzt, da unserer Stadt das wohl bedeutendste Ereignis ihrer Geschichte bevorsteht, kann es nicht angehen, dass sich hier ehrbare Männer wie törichte Burschen zanken. Vergesst nicht, dass es um die Ermordung eines angesehenen Mannes geht. Daher sollten wir diese Anhörung mit dem entsprechenden Respekt, der Burkhard gebührte, führen.«
Die Sonne war mittlerweile höher am Himmel aufgestiegen und
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