Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Schulligen
Vom Netzwerk:
Weinkrug und zwei gefüllte Tonbecher auf einem langen Tisch, der sich beinahe durch den gesamten Raum zog.
    Plötzlich hörte sie ein seltsames Geräusch, das sie nicht einzuordnen wusste. Unschlüssig, ob es sich um ein Raunen handelte oder einen Windstoß, der draußen in die Baumwipfel fuhr, streifte Laetitia mit der Rechten langsam die Kapuze vom Kopf. Sie spitzte die Ohren, um das Geräusch besser deuten zu können. Sie verortete es unter dem Tisch. Vorsichtig trat sie näher und beugte sich vor. Durchdrungen von einer bösen Ahnung, machte sich Laetitia auf das Schlimmste gefasst. Trotzdem entfuhr ihrer Kehle bei dem Anblick ein entsetzter Schrei. Auf der Erde lag ein alter Mann, das weiße Haar in einem Meer aus Blut, darinnen Scherben, die von Gefäßen rührten, die er im Fallen mit sich gerissen haben musste. Die wulstige Narbe, die sich über seine Stirn zog und Laetitia als markantes äußeres Merkmal des Kaufmanns genannt worden war, ließ keinen Zweifel zu: Burkhard. Geweitete Augen, die noch Leben verrieten, starrten wie im Fieber auf Laetitia. Mit schmerzverzerrtem Gesicht versuchte Burkhard, sich aufzurichten, um jedoch gleich wieder mit einem Stöhnen auf den Boden zurückzusinken.
    Panisch stürzte Laetitia, mit einem Schlag zurück in der Wirklichkeit, an seine Seite und tastete ihm mit fahrigen Fingern über die Brust, als könnte sie damit den Fluss des Blutes, das ihm warm aus einer Wunde am Hals quoll, zum Versiegen bringen. Was sollte sie tun, damit Burkhard nicht zu viel Blut verlor? Sie war so aufgeregt, dass sie alles vergaß, was sie in den Lehrstunden der ehrwürdigen Schwester Botanikerin gelernt hatte, die sie heimlich in der Heilkunst unterrichtete.
    »Oh mein Gott, oh mein Gott, Ihr dürft nicht sterben«, stammelte sie, unfähig einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Jetzt bemerkte sie, dass die Lippen des Alten sich bewegten. Zögerlich beugte sich Laetitia zu ihm hinunter. Einzelne Strähnen lösten sich, hingen in die Blutlache und färbten sich an den Enden dunkelrot. Burkhard war nicht mehr zu helfen, das spürte Laetitia deutlich, wenige Sekunden trennten ihn vom Tod. Sekunden, die ihm offenbar wert schienen, ihr, einer Fremden, etwas anvertrauen zu wollen.
    »Tor«, wisperten seine Lippen.
    Sie starrte dem Alten fragend ins Gesicht. Seine Augenlider zuckten, als wollten sie eine Botschaft übermitteln, die Laetitia aber nicht verstand. Hilflos hob sie die Schultern. Burkhard musste bemerken, dass sie nicht begriff. Dabei mühte sie sich nach besten Kräften, ihn zu verstehen. Keinesfalls durfte er, der auf elendigliche Weise sterben sollte, mit seiner letzten Botschaft ungehört bleiben.
    »Tor? Was meint Ihr damit, welches Tor?«, flüsterte sie beschwörend. Nochmals neigte sie ihr Ohr dicht an seine Lippen, die wiederum mehr gehaucht als gesprochen ein einziges Wort hervorbrachten: »Tour.«
    ›Tour‹ verstand Laetitia diesmal, was in der französischen Sprache ›Turm‹ bedeutete. »Welchen Turm meint Ihr, was ist in diesem Turm geschehen – bitte, was wollt Ihr mir damit sagen?«, bedrängte ihn Laetitia und verspürte ein Würgen. Es war zu spät, das Gesicht des Alten wurde bleich. Sein Kopf fiel leblos zur Seite. Mit vor Entsetzen eiskalten Fingern fuhr Laetitia Burkhard über die Lider, um seine Augen zu schließen. Der Ermordete sollte im Tod eine fromme und würdige Haltung einnehmen. Scheu fasste sie nach seiner rechten Hand, die schlaff neben dem Körper lag. Laetitia wollte sie mit der linken Hand verbinden und über Burkhards Brust verschränken. Auf einmal bemerkte sie, dass sich etwas aus den Fingern löste. Laetitia stockte: Es waren eingerissene Papiere, die am äußeren Rand mit Blut befleckt waren und von denen offenbar die obere Hälfte fehlte. Vorsichtig nahm sie die Schriften, oder vielmehr das, was davon übrig geblieben war, an sich. Heiß schoss ihr dabei durch den Kopf, dass sie wegen einiger Briefe den gesamten weiten Weg von der Champagne hergereist war. Was, wenn ihre Reise genau denselben Schriften galt, deren Fragmente sie jetzt vor sich sah und die jemand Burkhard offenbar mit Gewalt aus den Händen gerissen hatte? War es denkbar, dass die Briefe ein Geheimnis bargen, das jemanden zum Mörder gemacht hatte?
    Ein Geräusch. Näherten sich da etwa Schritte? Laetitia erstarrte. Gott stehe ihr bei: In welcher Lage befand sie sich? Gebeugt über einen Ermordeten, in einem lumpigen, blutbefleckten Gewand steckend und am Gürtel einen Beutel

Weitere Kostenlose Bücher