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Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Schulligen
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Frevel! Wie konnte sich Karolina vom Drang nach Wissen so weit treiben lassen, sündiges Gedankengut an diesem frommen Ort aufzubewahren? Rasch, als ob es in ihren Händen wie von Feuer glühte, schob sie das gefährliche Buch wieder ins Regal und wich einen Schritt zurück. Unwillkürlich rieb sie sich die Finger an ihrem Gewand ab, als ob sie widerwärtigen Schlamm abwischen wollte.
    Wo war sie bloß hingeraten? Zweifel überkamen sie. Mit einem Mal bereute sie, hergekommen zu sein. War ihr nicht ohnedies Fragwürdiges über Karolina zu Ohren gekommen? Hieß es nicht, dass sie ständig mit Erzbischof Albero im Streit lag und selten eine Gelegenheit ausließ, ihn zu provozieren? Sie machte sogar keinen Hehl daraus, in regem Kontakt mit Andersgläubigen zu stehen und den wissenschaftlichen Disput mit Juden zu pflegen. Karolinas Devise lautete: Wenn sie auch einem anderen Glauben anhingen, sollte es einen Christenmenschen nicht davon abbringen, sich für ihre vielfältigen Kenntnisse zu begeistern. Dass sich die Juden in Heilkunde und Wissenschaft federführend zeigten, konnte letztendlich niemand bestreiten. Erzbischof Albero, den ihre großzügige finanzielle Unterstützung beim Bau der neuen Trierer Verteidigungsmauer zu Dank verpflichtete, am wenigsten. Aber völlig unbekümmert Kontakte zu den Juden, Beghinen und Freigeistern zu unterhalten wie Karolina, stellte eine Sache dar, die kaum den Beifall des Erzbischofs finden konnte. Laetitia war überzeugt, dass hierin der Hauptgrund für das gespannte Verhältnis zwischen Albero und Karolina lag. Wie man hörte, scherte sich Karolina allerdings nicht im Mindesten darum, was er oder andere Kleriker von ihr hielten. Ungerührt trat sie für Andersgläubige ein. In der Eifel war eine jüdische Familie, gegen die der berüchtigte Kreuzzugsprediger Radulf Christen gehetzt hatte, dem Tod einzig durch Karolinas beherztes Einschreiten entronnen. Ob der Mut, der sie bei diesem Kampf antrieb, aus Mitleid geboren war oder vielmehr trotzigem Auflehnungswillen entsprang, blieb Karolinas Geheimnis. Wer mochte sagen, ob sie im Verborgenen nicht Lehren anhing, die mit der Kirche in Widerspruch standen? Bei dem was Laetitia soeben entdeckt hatte, würde sie sich nicht wirklich darüber wundern.
    Ein Windzug. Die Flammen der Kerzen, die das Regal ausleuchteten, zuckten auf. Laetitia fühlte sich ertappt und sprang neben eines der Schreibpulte. Schritte näherten sich auf knarrenden Dielen. Wenig später erschien im Türrahmen eine Frau im Reisemantel, die um die fünfzig Jahre zählen mochte und sich ihr als Karolina vorstellte. Laetitia konnte sich nicht erinnern, jemals zuvor einer Frau begegnet zu sein, auf die der Begriff der Weiblichkeit weniger Anwendung fand. Karolina war von außergewöhnlich hoher Gestalt. Ihre Stirn wölbte sich breit über buschigen Augenbrauen und ihre ausladenden Wangenknochen wirkten grob. Weißlich schimmernde Furchen durchschnitten ihre Haut, die sonnengegerbt war wie die eines auf dem Feld arbeitenden Knechts. Geradewegs, als habe es sich die Hässlichkeit nicht nehmen lassen, einen weiteren Akzent zu setzen, zog sich entlang ihrer breiten Kinnpartie, die von Entschlusskraft und einem starken Willen zeugte, ein violettes Feuermal über den rechten Kieferknochen hin bis zum Ohr. Dieser Mangel an äußeren Vorzügen, der sicherlich bei wenigen Menschen Sympathien hervorrief, weckte in Laetitia jedoch keineswegs Ablehnung. Eher traf das Gegenteil zu: Sie spürte Zuneigung zu Karolina warm in sich aufsteigen. Immer schon hatten sie Menschen, die der Herr nicht wie sie mit Schönheit bedacht hatte, auf seltsame Weise angezogen, als ob äußerliche Hässlichkeit eine Tugend sei und für die Reinheit der Seele bürge. Nur Karolinas Augen, die in hellem Grau schimmerten und seltsam schräg unter den dichten Brauen lagen, weckten Laetitias Misstrauen. Das flackernde Kerzenlicht verlieh ihrem Blick eine eigentümliche Durchdringlichkeit, die Laetitia als unangenehm empfand und der sie fast nicht standhalten konnte. Ihr schien, dass Karolina, obwohl sie ein fremder Mensch war, die Gedanken hinter ihrer Stirn lesen könnte. Unwillkürlich begannen Laetitias Lider nervös zu flattern. Karolina trat unterdessen auf sie zu und fasste sie bei den Armen. Als Laetitia die Wärme dieser Berührung spürte, brach es aus ihr hervor: »Ihr müsst mir helfen, dringend! Ich bin eine Schülerin von Heloïse. Etwas Schreckliches ist geschehen!«
    Sie hatte den Namen der

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