Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)
dreier Kornsäcke über den Hof klapperte. Nachdem sie den Schlaf des Erschöpften hinter sich hatte, fühlte Laetitia neuen Tatendrang in sich aufsteigen. Genau wie jedermann, der im Stift fleißig seiner Arbeit nachging, würde sie sich sogleich wieder an ihre Nachforschungen machen. Zwar hatte sie noch nichts über die silberne Lanze herausgefunden, aber das würde ihr schon noch gelingen.
Sie steckte einen Bogen Leinenpapier ein, Feder und Tinte. Daraufhin nahm sie den Folianten über Wappenkunde an sich, ging zur Tür, öffnete sie einen Spalt breit und streckte den Kopf hinaus. Glücklicherweise war niemand zu sehen, der unbequeme Fragen stellen konnte. Das Buch fest an sich gedrückt, schlüpfte Laetitia durch den zugigen Flur zum Dormitorium. Vorsichtig öffnete sie die Tür. Karolinas Bett war leer, doch der Mantel, der nachlässig über den Schemel geworfen worden war, verriet, dass sie nachts ins Stift zurückgekehrt war. Laetitia atmete erleichtert auf. Dann setzte sie sich auf ihr Bett und begann damit, jeden einzelnen der Namen, die in den Chroniken über die Apulienheerfahrt aufgeführt waren, fein säuberlich zu Papier zu bringen. Daneben notierte sie Angaben zum Wappen, das der Kämpfer führte, sofern sie etwas in dem entwendeten Buch dazu finden konnte. Eine endlos fade Aufgabe, für die sie alle Geduld der Welt aufbringen musste. Das Haar fiel ihr in kraftlosen Strähnen in die Stirn.
Sie seufzte und dachte an Sebastian. Einzig seinem genialen Einfall war es zu verdanken, dass sie überhaupt Zugang zur Bibliothek gefunden hatte. Ganz zu schweigen davon, dass seine Unerschrockenheit mitreißend war. Gegen sie konnte das stärkste Angstgefühl genauso wenig bestehen wie ein Zwerg gegen einen Riesen. Es half kein Leugnen, sie vermisste Sebastians Unterstützung. Im Gegensatz zu ihr kannte er gewiss zu den meisten Namen, die sie notierte, den Hintergrund. Ohne lange zu überlegen, wüsste er zu sagen, welcher der Männer sich kürzlich in Trier aufgehalten hatte. Besonders klug erschien ihr im Nachhinein nicht, dass sie Sebastian geohrfeigt hatte. Warum handelte sie immer so ungestüm? Auch die Äbtissin hatte sie schon oft wegen ihrer aufbrausenden Art gerügt. Wie sehr sie den Beistand ihrer klugen Lehrerin vermisste.
Manche Namen ließen sich nur schwer entziffern. Laetitia zwang sich, trotzdem weiterzuschreiben. Wie ein geduldiger Narr notierte sie: Hermann von Hohenwald, Hugo de Saint Martin, Guillaume de Roscelien, Baldwin von Burgund, Charles de Fontainebleu, Bruno de Bourg der Jüngere, Ansgar van Weyden …
Moment mal. Laetitia richtete sich kerzengerade auf. War es denn die Möglichkeit? ›de Bourg‹! ›Bruno de Bourg der Jüngere‹ – Sohn des Helden aus dem Urbanschen Kreuzzug – war Ruperts Vater und gemäß der Aufzeichnungen hatte er am Apulienzug teilgenommen. Falls er zum Bund der silbernen Lanze gehörte, war durchaus denkbar, dass er seinem Sohn das Amulett weitergereicht hatte! Aus Laetitias Gesicht wich alle Farbe. Rupert war unmittelbar vor Burkhards Tod in Trier eingetroffen. Lag es im Bereich des Möglichen, dass er sich des Mordes schuldig gemacht hatte?
Wenn ihre bisherigen Annahmen sich als korrekt erwiesen, hatte der Täter aus Angst gehandelt. Aus Angst, als Urheber ketzerischer Briefe zu gelten. Ob sich Rupert jemals mit Abaelardus’ Gedankengut auseinandergesetzt hatte, wusste Laetitia natürlich nicht. Eins aber stand fest: Falls dem so war, stünde der Templer vor einem gewichtigen Problem: Sollte jemand die Sache an die große Glocke hängen, wenn Papst Eugen in Trier eintraf, konnte er seine hochfliegenden Pläne getrost begraben. Weder Albero noch sonst einer der Mächtigen Triers würde ihm auch nur einen einzigen Mann unter Waffen stellen. Auch wenn Karolina erzählt hatte, dass sich Bernhard von Clairvaux zu einer formalen Aussöhnung mit Abaelardus kurz vor dessen Tod hatte breitschlagen lassen, stand eines fest: Jeder, der der Lehre Petrus Abaelardus anhing, verlor Bernhards Gunst unwiederbringlich. Und wenn Rupert es sich erst einmal mit Bernhard verscherzt hatte, konnte er noch so sehr um den Erzbischof oder gar den Papst herumscharwenzeln: Nicht ein Bein mehr würde er auf den Boden bekommen. Außerdem plagten Rupert gewiss wenig Skrupel, Blut zu vergießen, um seinen schlohweißen Kreuzrittermantel rein zu halten. Da die Klingen der Templer ohnedies Gott im Namen führen, glaubte er womöglich noch obendrein, die Moral stets auf seiner Seite zu
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