Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)
einzusetzen.«
»Ihr meint, der Bericht über den Apulienzug enthält Hinweise auf ihn selbst?«
» Das oder aber auf eine Person, der er als Handlanger dient.«
»Aber wer könnte das sein?«
Laetitia zuckte die Achseln und steckte die Pergamentrolle sorgfältig an den Gürtel ihres Gewands. »Das ist eine gute Frage. Allerdings tut sich auch eine weitere Erklärungsmöglichkeit auf: Wenn Gerwin wirklich vertraut mit Burkhard war und ihn heimlich mit Informationen aus der erzbischöflichen Bibliothek versorgte, haben sie vielleicht zuvor gemeinsam gegen jemanden agiert und ihn erpresst.«
»Denkbar wäre das. Nicht erklären würde es aber, warum Gerwin den Bericht über den Apulienzug benötigt. Denn wenn er mit Burkhard gemeinsame Sache gemacht hat, kennt er ja den Namen des Erpressten.«
»Natürlich, das habe ich nicht bedacht«, stimmte Laetitia zu. Aber, wenn die beiden nicht unter einer Decke steckten, erlaubt sich folgender Schluss: Jetzt, da durch Burkhards Tod Gerwins Geldquelle versiegt ist, könnte es durchaus sein, dass Gerwin sich darauf verlegt, den Mörder aus andern Gründen zu erpressen, als Burkhard es tat.«
»Ihr meint, schlichtweg mit dem Mord als solchem?«, fragte Sebastian.
»Genau, wenn er uns gestern wirklich mit Erfolg belauscht hat, kennt er unsere Überlegungen.«
»Und für seine erpresserischen Machenschaften braucht er genau dieselben Informationen wie wir.«
»Eben. Da man gewiss bemerkt hat, dass über die letzten Monate einige Dokumente verschwunden sind, schien ihm geraten, nachts still und heimlich in die Bibliothek einzudringen statt bei Tage.«
»Das klingt nachvollziehbar«, murmelte Sebastian.
»Heute Abend ist er offenbar enorm vorsichtig vorgegangen. Sonst hättet Ihr ihn ja bemerken müssen. Wie er es bloß angestellt hat, ungesehen an Euch vorbeizukommen?«
Auf Sebastians Gesicht machte sich Verblüffung breit. Während er Laetitias Umhang von der Stuhllehne nahm und ihn ihr reichte, korrigierte er ihre Interpretation der Dinge. »Ach, bemerkt habe ich ihn natürlich schon. Euer Stöbern in der Bibliothek war schließlich nicht ungefährlich und daher habe ich draußen wie ein Luchs auf das kleinste Geräusch und jeden sich bewegenden Schatten geachtet.«
Sie traten vors Haus, um sich auf den Weg zur Hofmauer zu machen. Als die Tür sich hinter ihnen schloss, fiel Laetitia auf, dass die Luft mittlerweile viel frischer geworden war, und zog ihren Umhang am Hals fest zu. »Seltsam, ich kann immer noch nicht begreifen, dass ich Eure Warnung überhörte. Wie konnte mir das nur passieren?«, murmelte sie.
»Na ja, überhört habt Ihr eigentlich gar nichts«, erklärte er verlegen grinsend. »Schaut, ich habe Euch gar nicht gewarnt. Als ich erkannte, dass es sich bei dem nächtlichen Besucher um Gerwin handelt, drängte sich mir sogleich eine entscheidende Frage auf. Ich sagte mir: Was hat Gerwin, der doch als Gehilfe Balderichs nun wirklich auch bei Tage Zutritt zur Bibliothek hat, zu nachtschlafender Zeit hier vor? Dieser Umstand schien mir mehr als suspekt, das ist ja klar. Da kam es mir sinnvoller vor, ihn gewähren zu lassen. Ich erhoffte mir, dass wir wichtige Rückschlüsse aus seinem Tun gewinnen können. Und das schien mir durchaus ein gewisses Risiko wert.«
»Ach ja?«, fragte Laetitia mit schiefem Lächeln, beide Arme in die Hüften gestützt. »Ein gewisses Risiko schien Euch das wert? Euch schien es das wert? Euch ? Wer hat das Risiko denn getragen? Ihr oder ich?«
Das Erstaunen, das sich durch ihre Frage auf Sebastians Gesicht ausbreitete, verriet Laetitia, dass er nicht für den Bruchteil einer Sekunde sein Tun hinterfragt hatte. Mit aller Selbstverständlichkeit der Welt hatte er, der die ganze Zeit über lediglich Wache geschoben hatte und sich in seiner Eitelkeit dafür auch noch rühmen ließ, tatsächlich geglaubt, sie bewusst Gefahren aussetzen zu dürfen. Diese Vermessenheit brachte Laetitia um ihre Haltung. Sie schäumte vor Wut. Noch bevor Sebastian den Versuch einer Erklärung unternehmen konnte, gab sie ihm eine schallende Ohrfeige. In rasendem Ungestüm wandte sie sich um, schritt durch das geöffneten Tor und stob wehenden Mantels davon.
*
Der Zorn auf Sebastian ließ den Gedanken an Schlaf gar nicht zu. Kaum, dass sie das Stift erreicht hatte und über die Mauer geklettert war, schlich Laetitia auf leisen Sohlen zum Vorraum des Dormitoriums, den eine Pechfackel dürftig erleuchtete. Sie legte ihr Ohr an das Türblatt und
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