Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)
haben.
»Eines ist sonnenklar«, murmelte Laetitia vor sich hin. »Falls Rupert wirklich etwas mit dem Mord zu schaffen hat, konnte er gar keinen klügeren Schritt tun, als selbst die Klagerede gegen eine unschuldig Verdächtige zu führen!« Wie leicht könnte der Templer die in der Anhörung gewonnenen Erkenntnisse dann jederzeit zu seinem Vorteil einsetzen. Auf dem aktuellsten Wissensstand wäre er mühelos in der Lage, Vorkehrungen zu treffen, jegliches Verdachtsmoment gegen ihn zu beseitigen.
Gleichermaßen erregt wie entsetzt über diese Möglichkeit riss Laetitia das Buch empor und presste es an sich. Wie von einer Nadel gestochen sprang sie von ihrem Bett auf und ballte empört die Fäuste. Noch in dieser Sekunde würde sie zu Rupert laufen und ihm ihren Verdacht entgegenschleudern. Sie griff nach ihrem Umhang und warf ihn sich über. Doch schon als sie nach dem Türgriff fasste und das kalte Metall an ihrer Hand spürte, wich ihre Entschlossenheit. Rupert würde sie in Stücke reißen, wenn sie ihn mit einem solch ungeheuerlichen Vorwurf konfrontierte. Sie stand mal wieder im Begriff, viel zu voreilig zu handeln. Außerdem kamen ihr Zweifel.
»Nein, das kann ich nicht tun. Außerdem ist es nicht wirklich stimmig«, wisperte Laetitia kaum hörbar vor sich hin. Leider hatte sie bei ihrem Gedankengang eine Tatsache übersehen, die das Verdachtsgebäude zum Einsturz brachte. Es gab nicht den geringsten Hinweis darauf, dass Rupert in irgendeiner Weise in die Maximiner Fehde eingebunden war. Schließlich war er fremd in Trier und erst seit drei Wochen in der Stadt. Warum also sollte Burkhard ihn aus Rache erpresst haben? Laetitia versuchte, sich zu beruhigen und atmete mehrmals hintereinander tief ein und aus. Die Dinge zu überstürzen wäre nicht allein töricht, sondern schlichtweg gefährlich. Sobald sie sich nämlich blind auf einen Pfad unbewiesener Verdächtigungen begab, machte sie sich auch in den Augen Wilhelms vollkommen unglaubwürdig. Würde Rupert nur ein einziges Mal gelingen, ihre Vorwürfe als haltlos zu zerpflücken und in den Novemberwind zu streuen wie zerfallendes Herbstlaub, wäre sie für den Rest der Anhörung erledigt. Nein, sie musste es anders anfangen.
Alles hing von der entscheidenden Frage ab: Besaß Burkhard vielleicht doch einen Grund, den Templer zu erpressen und hatte sich somit sein eigenes Grab geschaufelt? Eine Antwort konnte es nur geben, wenn Laetitia herausfand, ob Rupert irgendetwas mit der Fehde und dem Verrat, dem sich Burkhard auf der Spur glaubte, zu schaffen hatte. Sie musste mehr über die schicksalhafte Schlacht erfahren und kristallklar trat ihr vor Augen, wen sie dazu befragen würde.
*
Der Wind trug Stimmen vom Hafen heran. Ein Lastkahn hatte angelegt und die Schiffer begannen mit dem Löschen der Ladung. Laetitia strich dem Rappen, den sie sich aus dem Stall des Stifts geliehen hatte, über die feuchte Mähne. Dann zog sie sich die Kapuze ihres Umhangs über beide Ohren, denn vom Fluss hatte sich mittlerweile feindseliger Nebel herangewälzt. Trotz des milchigen Dunstes konnte Laetitia von hier aus die Moselbrücke mit dem befestigten Tor sehen, das die Stadt zum Westen hin schützte – oder zumindest schützen sollte. Genau an diesem Ort war es im Oktober vor drei Jahren zu den schicksalsschweren Kämpfen gekommen, die so viele junge Trierer Burschen in den Tod rissen. Der Gedanke bedrückte Laetitia und vor ihrem inneren Auge entstanden üble Bilder. In ihrer Vorstellung blitzten am jenseitigen Ufer Schwerter auf, brennende Pfeile suchten mit blutlechzendem Zischen ihr Ziel, während sich unter das Gejohle der Angreifer, die über die Brücke stürmten, das Ächzen der Verwundeten mischte. Wenn ihr Vorhaben Erfolg hatte, würde sie bald mehr darüber erfahren, was damals geschehen war! Vielleicht würde sich dann das Geheimnis um den Verräter in der Maximiner Fehde lüften und somit auch das Gesicht des Mörders von Burkhard und Brigitta zeigen?
Einen Moment zögerte Laetitia. Ob sie nicht lieber Sebastian bitten sollte, sie zu begleiten? Sankt Matthias lag außerhalb der Stadtmauern. Andererseits war es nicht wirklich weit dorthin und Albero hatte die Wachen zum Schutz der Pilger verstärkt, sodass die Wege im unmittelbaren Umfeld Triers bei Tage als sicher galten. Außerdem würde es sie, nachdem was gestern Abend vorgefallen war, schon sehr viel Überwindung kosten, wie eine Bittstellerin vor Sebastian zu treten. Nein, sie musste ihr
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