Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)
keine Beschreibung. Die Gäste standen wie in Bann geschlagen, während die Dienerschaft aufgeregt umherrannte, um Wickel und heiße Milch herbeizuschaffen, doch blieb kaum einem verborgen, dass hier nicht mehr zu helfen war. Der schaumige Speichel, der Gerwin das Kinn herabrann, kam aus dem Mund eines Toten.
Kapitel 13
Eine Minute lang hoffte Laetitia, alles wäre nur ein böser Traum, aber das Entsetzen der anderen Gäste war echt, wächsern das Gesicht des Toten. Sie befand sich in der Wirklichkeit. Entgeistert traf ihr Blick den Templer, der hilfesuchend nach Wilhelm tastete. Doch der stand genauso erstarrt wie sie selbst am Tisch. Auch er war machtlos. Hier konnte er nicht einfach nach Alberos Wachen rufen, die alles in Ordnung brächten. Gerwin war tot. Was, wenn ein Mord geschehen war, schon wieder ein Mord?
Wohl um seine Fassung zurückzugewinnen, griff Wilhelm fahrig nach seinem Wein. Im nächsten Moment schlug Sebastian ihm heftig gegen die Hand. Scheppernd zerbrach der tönerne Becher und der Wein floss rot über den Boden. Der Schrecken in Wilhelms Miene wich rasch der Erkenntnis: Er begriff, dass Sebastian ihn geistesgegenwärtig vor einer törichten Handlung bewahrt hatte. Dem ersten Anschein nach zu urteilen, war Gerwin vergiftet worden. Wer mochte sagen, ob nicht der Wein todbringend war?
Unter den Gästen erhob sich ein verängstigtes Murren und Scharren. Einige entflohen der unerträglichen Situation mit ein paar eiligen Worten des Dankes, die sie dem verstörten Gastgeber entgegenhaspelten, während andere ihre neugierigen Nasen weit über den Tisch reckten, um bloß kein Detail der Leiche zu übersehen. Nur Sebastian besann sich auf das einzig Vernünftige. »Es ist der Wein, überzeugt Euch persönlich davon! Etwas ist damit nicht in Ordnung.« Beinahe triumphierend – obwohl eine Vergiftung auf einem Fest, zu dem sein eigener Vater geladen hatte, wenig Anlass zu solcher Regung bot – streckte er Wilhelm Gerwins halb gefüllten Becher entgegen.
»In der Tat«, stimmte Wilhelm anerkennend zu, »der bittere Geruch des roten Fingerhuts ist unverkennbar.«
»Das Gift muss in dem Becher gewesen sein. Riecht am Krug zur Probe. Wenn ich mich nicht täusche, verströmt er keinerlei verdächtigen Geruch.«
Sebastians Vermutung bestätigte sich. Tatsächlich fanden sich an keinem einzigen Teller, Becher oder Krug Hinweise auf Gift. Ausschließlich Gerwins Wein hatte der Bösewicht den tödlichen roten Fingerhut beigemengt – wahrscheinlich erst nach dem Essen, während der Darbietung des Sängers. Dafür sprach sowohl die erst kürzlich eingetretene Wirkung des Gifts als auch die Tatsache, dass Gerwin der bittere Geruch anscheinend nicht aufgefallen war. Vermutlich hatten die zuvor geleerten Becher Wein ihren Tribut gefordert und seine Wahrnehmung getrübt. Wie auch immer es geschehen war, stand eines sicher fest: Der Anschlag hatte gezielt Gerwin gegolten.
Laetitia bebte am ganzen Körper. Dieses neuerliche Verbrechen führte ihr deutlich vor Augen, welch gefährliche Wege sie selbst mit ihrem Nachforschen beschritt. Ruperts Nähe ließ sie frösteln, weshalb sie auf den Feuerplatz zuging und sich die Hände nahe der prasselnden Holzscheite rieb. Während sie in die rot züngelnden Flammen starrte, kehrten ihre Gedanken zum Tischgespräch zurück. War Gerwin die eigene Dreistigkeit zum Verhängnis geworden? Hatte er solche Angst vor Entlarvung in Rupert geschürt, dass der Templer sich zum Handeln gezwungen gesehen hatte? Gelegenheit, in einem unbeobachteten Moment Gift in Gerwins Becher zu geben, hatte Rupert gehabt. Als die anderen Gäste ihre Aufmerksamkeit auf die Dichtung des Spielmanns gerichtet hatten, hatte natürlich keine Menschenseele etwas bemerkt.
Laetitia wandte sich langsam um und suchte nach Rupert. In ihren Augen funkelte es argwöhnisch. Mitten in dem sich leerenden Saal lehnte der Templer gegen einen der Stühle an der Haupttafel. Er zeigte keinerlei Anzeichen seiner sonstigen Überheblichkeit in diesem Moment. Besorgt, verwirrt und rastlos wirkte er. Waren das Zeichen seiner Schuld oder bewegte ihn wirklich der Schrecken um Gerwins Tod? Laetitias Fingernägel gruben sich so fest in ihre Handballen, dass es schmerzte. Am liebsten wäre sie auf Rupert losgestürzt und hätte dem Schönling ihre Verdächtigungen in sein falsches Gesicht gespien.
Andererseits: Wenn wirklich Gerwins versteckte Drohung den Mord ausgelöst hatte, so war das Verbrechen Ergebnis einer spontanen
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