Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)
zusammengezimmert, dem sie je begegnet war! Statt dem Argwohn zu erlauben, wie ein Feuer im Stroh zu lodern, sollte sie sich lieber auf das besinnen, was dieses neuerliche Verbrechen für Margund bedeutete. Hatte man noch bei Brigittas Tod deren sündigen Lebenswandel angeführt, um die mysteriösen Geschehnisse zu erklären, konnte man bei Gerwin nicht auf eine solche Möglichkeit zurückgreifen.
Da er als Burkhards enger Vertrauter kurz nach ihm umgebracht worden war, lag doch auf der Hand, dass ein Zusammenhang zwischen den Verbrechen bestand. Ein Zusammenhang, der Margund entlastete! Denn solchen Unfug, dass sie vom Kerker aus Gerwin vergiftet hatte, würde niemand zu behaupten wagen. Daran konnten auch diese neu gewonnen Erkenntnisse, von denen Rupert beim Essen gefaselt hatte, nichts ändern. Um was konkret es sich dabei handelte, wollte Laetitia trotzdem wissen. Vielleicht konnte sie ihn überreden, sie einzuweihen? Sie überwand ihre Furcht vor Rupert und trat entschlossen an die Haupttafel, an der er lehnte. »Bitte, Ihr müsst mir hier und jetzt verraten, welche neuen Erkenntnisse es zum Mord an Burkhard gibt. Nun zählen wir den dritten Toten. Wenn Wilhelm Margund immer noch nicht aus dem Kerker lassen will, möchte ich erfahren, mit welchem Recht er das tut!« Laetitia wunderte sich beinahe selbst über den scharfen Ton, mit dem sie gegenüber dem Templer auftrat. Doch offenbar zeigte ihr Temperament Wirkung.
Rupert verzog die Mundwinkel zu einem herablassenden Lächeln. »Gewiss, wir wollen Euch nicht vorenthalten, welche neuen Beweise uns für die Schuld der Katharerin zugingen. Ihr sollt ruhig sehen, was einer der Mönche in Sankt Matthias entdeckt hat.«
»In Sankt Matthias?«, wunderte sich Laetitia, die über die dreiste Beständigkeit, mit der Rupert an seinem Glauben an Margunds Schuld festhielt, staunte. Erst recht konnte sie sich keinen Reim darauf machen, wie man ausgerechnet in Sankt Matthias Hinweise entdecken konnte, die eine Spur zu Margund legten. Sie folgte Rupert zu Wilhelm, der mit bekümmerter Miene den Dienern nachsah, wie sie soeben die Bahre mit dem Leichnam aus dem Saal trugen. Ruperts Schritten haftete eine gewisse Lässigkeit an. Sie wirkten entspannt, was verriet, dass er seine vorherige Irritation überwunden hatte. Mit gewichtiger Miene flüsterte er Wilhelm etwas zu. Der blickte den Templer überrascht an. Sein Brustkorb hob und senkte sich, so als ob er sich vom Strömen der Atemluft Klarheit über seine nächsten Schritte verspräche. Dann griff er nach seinem Mantel und zog vorsichtig etwas daraus hervor. Mit einem kurzen Schulterblick vergewisserte er sich, dass kein Unbefugter seine neugierigen Ohren spitzte. Doch hierfür bestand kaum Gefahr, denn Sebastian war den Dienern mit der Bahre gefolgt, während sein Vater einige Gäste hinausbegleitete. Der Saal lag nun vollkommen leer und still. Nur das Feuer knisterte.
In seinen Händen hielt Wilhelm ein stark vergilbtes, zusammengefaltetes Papier, das eine sehr feine Textur aufwies. »Diese Schrift ist weit über hundert Jahre alt«, hob er an. »Einer der Steinmetze hat sie gemeinsam mit anderen alten Dokumenten zufällig bei seinen Arbeiten in Sankt Matthias entdeckt. Glücklicherweise erkannte ein Novize die Wichtigkeit des Dokuments sogleich und übergab es dem Bibliothekar.« Mit der Sorgfalt, die man einem Schatz anheim kommen lässt, breitete Wilhelm das Papier aus. »›Keine sechs Jahre werden vergehen, bis Bischof Ruotbert der schwarze Tod ereilt‹«, begann er mit pathetischer Stimme zu lesen. »›Der ehrwürdige Bischof Eberhard von Trier wird sich aufmachen zur Schwertleite eines der größten Könige, die das Land je regieren werden.‹«
»Aber das ist ja haarsträubend«, fiel Laetitia Wilhelm ins Wort. Dass sich die Benediktiner in Sankt Matthias mit Fleiß darin übten, die Geschichte der Stadt zu dokumentieren, war ihr nicht neu. Das eigentümliche der Chronik, die Wilhelm in Händen hielt, lag in ihrer Perspektive . Nicht aus gegenwärtiger oder rückblickender Betrachtung warf sie Licht auf die Dinge, nein: Hier wurden Ereignisse mit weiser Stimme vorausgesagt , lange bevor sie eintrafen – gerade wie in einer Prophezeiung.
Wilhelm musterte Laetitia lediglich missbilligend und las sogleich weiter vor. Der Text erzählte nun von der Zeit der Sedisvakanz wie von einem künftigen Ereignis, also der Zeit, die der Trierer Bischofsstuhl unbesetzt geblieben war, bis Albero ihn vor fünfzehn Jahren
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