Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)
eingenommen hatte. Aber es sollte noch besser kommen. »›Nachdem sechs finstere Jahre vergangen sein werden, just in dem Moment, in dem Trier dem hellsten Schein in seiner Geschichte entgegensieht, erschüttern blutige Ereignisse die Stadt. Eine in ihren schändlichen Sitten Gott lästernde, verschworene Gemeinschaft wird ihr Unwesen treiben, ohne dass der Erzbischof einschreitet. Willenlos werden aus den höchsten wie aus den niedrigsten Reihen Seelen geopfert. Dämonische Macht wird ihre mörderischen Kräfte auch aus in Ketten gebundenen Händen entfesseln und verschlossene Kammern erreichen … ‹«
Eindeutig beschäftigte sich diese Stelle des Textes mit der Gegenwart. Wovon sonst als der sechs Jahre währenden Fehde und dem bevorstehenden Papstbesuch war hier die Rede? So weit, so gut, doch zu welch kühner Interpretation sich Rupert und Wilhelm entschieden hatten, erkannte Laetitia mit Schrecken: Als lästernde verschworene Gemeinschaft galten ihnen die Katharer, und Margund als eine von ihnen habe sich aus dem Kerker heraus finsterer Mächte bedient, um Brigitta – und womöglich auch Gerwin – zu töten. Laetitia spürte einen Kloß im Hals. Persönlich glaubte sie felsenfest an die Unschuld des Mädchens – daran konnte keine Prophezeiung der Welt etwas ändern. Aber wie nur sollte sie Wilhelm überzeugen, der nun schwarz auf weiß ein weiteres Indiz für Ruperts Behauptungen in Händen hielt?
*
Es war der zweite Morgen nach dem Fest. Raureif überzog das Land und die umliegenden Weinberge, auf denen sich noch vor Kurzem fleißige Traubenleser getummelt hatten, lagen verlassen da. Nachdem Laetitia die Nacht über kein Auge zugetan hatte, trieb die Unruhe sie schon im Morgengrauen aus dem Dormitorium. Die Prophezeiung, die man in Sankt Matthias gefunden hatte, machte es ihr unmöglich, einen einzigen klaren Gedanken zu fassen. Ihre Augen brannten infolge der schlaflosen Stunden. Sie ging zum Brunnen im Hof und versuchte, mit frischem Wasser die Spuren der Übernächtigung aus ihrem Gesicht zu vertreiben. Die nasse Kühle auf Lidern und Schläfen tat ihr wohl.
In der mit Fackeln erleuchteten Kapelle waren die Nonnen zum Gebet versammelt. Gedämpfter Gesang klang herüber, aus dem Karolinas dominante Stimme hervortönte. Noch nicht einmal bei Karolina wusste Laetitia, woran sie war. Irgendetwas hatte die Nonne zu verbergen. Obwohl sie sich heftig dagegen wehrte, begegnete Laetitia ihr mittlerweile weitaus reservierter als noch vor Kurzem. Letzte Nacht war Karolina schon wieder unschicklich spät ins Dormitorium geschlichen. Die Nonnen mochte sie täuschen, doch Laetitias leichtem Schlaf entging nicht das leiseste Dielenknarren.
Wenn ich mir es wenigstens nicht mit Sebastian verdorben hätte, dachte sie. Obwohl sein leichter Hang zur Eitelkeit durchaus Nerven kostete, hatte er sich stets als sehr guter Berater erwiesen. Was sollte sie nun ganz allein anfangen? Schon bald fand die nächste – und womöglich letzte – Anhörung statt. Ein Gedanke, der ihr alles andere als Zuversicht einflößte. Albero würde sich bald auf den Weg nach Verdun machen, um dem Papst entgegenzureisen. Sobald er Trier verlassen hatte, boten sich Rupert großartige Gelegenheiten, noch stärkeren Einfluss auf die Edlen der Stadt zu nehmen. Gelänge ihm noch dazu, die von der Kirchenlehre abtrünnige Katharerin des mehrfachen Mordes zu überführen, rückte er in ein glänzendes Licht. Rupert brauchte diesen Sieg und Laetitia war fest davon überzeugt, dass er alles daran setzte, sich ihn zu sichern.
Die Prophezeiung kam ihm gerade recht. Nichts faszinierte die Menschen mehr als düstere Wahrsagungen. Schon aus Aberglauben würden sie Margund als schuldig erachten. Und was konnte sie entgegensetzen? Nichts außer dem Amulett mit der silbernen Lanze und der vagen Vermutung, dass es Rupert gehörte. Weder hatte sie etwas über Ruperts Familienwappen herausgefunden noch einen anderen Anhaltspunkt dafür entdeckt, der den Verdacht erhärtete, dass Rupert wirklich der Verräter in der Maximiner Fehde war und von Burkhard erpresst wurde. Sie seufzte, denn eines stand fest: Allein kam sie nicht weiter. Obwohl sich ihr Stolz sträubte, siegte die Vernunft. Sie würde mit Sebastian reden und ihn um Verzeihung bitten müssen.
Die rote Sonne hatte sich bereits zur Hälfte hinter den Weinbergen hochgeschoben und überzog die Dächer der Stadt mit sanftem Schimmer. Laetitia betrachtete den klaren Morgenhimmel, der einen
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