Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)
hätte sie Wilhelm am liebsten den Becher aus der Hand geschlagen, ihn bei den Schultern gepackt und so lange geschüttelt, bis er endlich redete. Es kostete sie einige Mühe, sich zusammenzunehmen und gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Noch dazu, da der Abend voranschritt, ohne dass sich eine Gelegenheit bot, fern von Ruperts Ohren ein vertrauliches Wort mit Wilhelm über ihren Verdacht gegen den Templer zu wechseln. Auch ihren Versuch, Fragen an Rupert zu richten, konnte sie wegen der vor Aufregung heiseren Kehle nicht in die Tat umsetzen.
Während Laetitias Hoffnung mit jeder Minute sank, verzauberte der Mond den Saal mit seinem Licht, das durch die geöffneten Fenster silbern hereinschien. Sebastians Vater gab den Musikanten das Signal, anstatt der sanften Musik, die das Mahl begleitet hatte, einen lebhafteren Rhythmus anzuschlagen. Er nahm keine Rücksicht darauf, dass sich einige Geistliche unter den Gästen befanden, welche die Tanzerei als sündige Unsitte betrachteten. Schließlich war es sein Fest und die meisten Leute würden den Aufruf ohnedies mit Beifall begrüßen. Der Tanz war eröffnet und bald schon rauschte eine Woge aus feinen Gewändern in melodischem Schwung. Laetitia wertete diese Fröhlichkeit als grotesk angesichts des Scheiterns ihrer eigenen Mission. Obwohl sie sich in früheren Tagen unsäglich danach gesehnt hatte, wenigstens einmal in ihrem Leben einem solch prachtvollen Fest beiwohnen zu dürfen, konnte sie der ganzen Sache heute Abend überhaupt nichts abgewinnen. Ihr Gesicht wurde zu einer Maske, die den Feierlichkeiten teilnahmslos folgte. Ganz anders Sebastian. Er schritt, offenbar die Bedenkenlosigkeit selbst, mit einer Dame nach der anderen zum Tanz. Trotz ihrer anfänglichen Gleichgültigkeit wurmte es Laetitia zunehmend, dass sie selbst sich nicht auf das Tanzen verstand. Wie sollte sie auch, nachdem sie beinahe ihre gesamte Jugend im Kloster zugebracht hatte. Dabei würde der hellblaue Stoff bei jedem Tanzschritt herrlich schwingen und Sebastian würde sie gar nicht mehr übersehen können – auch wenn er ihr noch so sehr wegen der Ohrfeige zürnte.
Einer der Diener, die sich unermüdlich um das Wohl der geladenen Gesellschaft kümmerten, füllte Laetitias Becher auf und sie nahm einen tiefen Zug. Doch es war weder die Wirkung des Weins noch der Musik zuzuschreiben, dass es in ihrem Kopf bald zu schwirren begann. Schuld daran trug vielmehr Gerwin. »Schaut, auch wenn ich nicht daran zweifle, dass Eurer Leben als Angehöriger des Tempelordens voller Herausforderungen ist«, wandte er sich an Rupert, »so kann ich nicht leugnen, dass auch mein Berufsstand das ein oder andere Abenteuer bereithält. Man stößt auf interessante Dinge, wenn man sich mit den Dokumenten in den erzbischöflichen Archiven beschäftigt. Wahre Schätze finden sich dort.«
Gerwins Augen glänzten und flackerten eigentümlich in seinem Wieselgesicht. Lag nicht auch eine seltsame Tücke in dem Blick, den er Rupert zuwarf? Oder litt ihre Wahrnehmung aufgrund des eigenen Wissens über das Dokument, das ihr nächtliches Abenteuer in der Bibliothek ans Licht gebracht hatte? Laetitia prüfte die Mienen der Tischnachbarn. Glücklicherweise schienen Wilhelm und Karolina ganz in ihr Gespräch versunken zu sein. Niemand störte sich daran, dass sie selbst ihre gesamte Aufmerksamkeit der Unterhaltung zwischen dem Schreiber und Rupert widmete.
»Denkt Euch nur, der getötete Burkhard, Gott sei seiner armen Seele gnädig, zeigte ein überaus großes Interesse an allen Aufzeichnungen, die wir über die Maximiner Fehde führten. Bis – ich kann noch heute keine rechte Erklärung dafür finden – sein Interesse daran plötzlich wie aus heiterem Himmel erlosch. ›Nein, ich weiß genug, verschone mich mit weiteren Details‹, sprach er damals zu mir, und ich gebe zu, dass ich diesen Gesinnungswandel für eine seiner Launen hielt. Bis mich sein Tod eines besseren belehrte.«
Auf Ruperts Lippen trat ein falsches Lächeln, das sich nicht in seinen schwarzen Augen spiegelte. Was ging in ihm vor? Nahm er das Geschwätz seines Gegenübers nicht ernst oder beherrschte er die Kunst zur Vollendung, in ihm aufkommende Wut zu verbergen? Laetitia erfüllte allein das Beobachten seiner Miene mit einer solchen Spannung, dass sie auf ihrem Stuhl unruhig nach vorn rutschte. Auch Karolina wandte sich etwas von Wilhelm ab und spitzte ihre Ohren.
Gerwin machte eine bedeutungsvolle Pause und hob seinen Becher mit Wein an die
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