Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)
bis ins Mark traf: Von dem Moment an, als die Nonne Sebastian verlassen hatte, um Verbandsmaterial für Wilhelm zu holen, war Karolina unbeobachtet gewesen. Niemand konnte bezeugen, dass sie wirklich nach Arnika und Linnen gesucht hatte. Entpuppte sich Karolina, die sich eine Freundin von Äbtissin Heloïse nannte und vorgab, eine schützende Hand über in Not geratene Menschen zu halten, am Ende womöglich als gemeine Mörderin? Keine Vorstellung könnte abscheulicher sein. Ausgerechnet sie, die den Höchsten der Stadt die Stirn bot, wenn jemandem Unrecht drohte – sie sollte zwei Menschen erstochen und einen dritten vergiftet haben? Unmöglich! Andererseits: Definierte sich nicht jeder Charakter durch eine erstaunliche Vielschichtigkeit, genau wie Gottes Schöpfung die widersprüchlichsten Farben und Formen kannte?
»Aber nein, das ist ausgeschlossen. Brigitta wurde getötet, um ihre Zeugenaussage zu verhindern. Burkhards Mörder hingegen war ein Mann, dessen bin ich gewiss«, warf sie ein, erleichtert, den Verdacht entkräften zu können.
»Na ja, Karolina ist außergewöhnlich groß und die Gestalt, die Ihr vor dem Haus des Kaufmanns beobachtet habt, war in einen Kapuzenmantel gehüllt, nicht wahr?«
»Unfug, ich bin ganz sicher, dass es sich um einen Mann handelte, den ich dort sah.«
»Trotzdem. Es bleibt eine unverrückbare Tatsache, dass Burkhard Karolina hasste. Sie hatte also ein Motiv. Vielleicht hat sie einen Handlanger beauftragt?«
Laetitia wurde unsicher. Mechanisch wandte sie sich von Sebastian ab. Umgeben von Büchern hatte sie am Abend des Mordes an Burkhard gemeinsam mit Karolina im Skriptorium gesessen und Hypothesen über den Hergang seiner Tötung formuliert. Bereits damals war ihr eine der Reaktionen der Bibliothekarin verdächtig erschienen: Auf ihre Vermutung hin, der Mörder habe womöglich aus Angst vor dem Ketzereivorwurf gehandelt, war ein seltsames Glimmen in Karolinas Augen getreten. Nervös hatte sie an ihrem Rosenkranz genestelt und Laetitia hatte den Eindruck gewonnen, sie wäre um ein Haar mit einer heftigen Bemerkung herausgeplatzt. Einzig das Hereinpoltern der Novizin Elisabeth, die von der Ergreifung Margunds berichtete, hatte sie davon abgehalten.
»Einfach einmal angenommen, Karolina gehört tatsächlich zu den Anhängern von Petrus Abaelardus’ Thesen«, überlegte Laetitia, »und Burkhard erpresste sie aus Rache für den Tod seines Jüngsten mit seinem Wissen darüber. Denkt Ihr wirklich, dass sie deswegen einen Mord in Auftrag geben würde?«
Sebastian zuckte schweigend die Achseln.
»Ich meine, die gesamte Stadt weiß doch, dass sie sich immer wieder schützend vor Juden und andere Ungläubige stellt – das ist kein Geheimnis. So wie auch jetzt vor Margund. Letztendlich ist es Karolina zu verdanken, dass wir uns überhaupt um das Mädchen kümmern dürfen«, suchte Laetitia eifrig nach Gegenargumenten.
»Schon, aber sich schützend vor Verfolgte zu stellen ist eine Sache – selbst in den Verdacht der Abweichlerei zu geraten, eine ganz andere! Vergesst nicht den Zeitpunkt! Der Papst steht mit seinem Gefolge quasi vor den Toren Triers«, widersprach Sebastian.
»So gesehen … Wenn ich mir vorstelle, dass jemand dem Erzbischof tatsächlich schriftliche Beweise um eine ketzerische Gesinnung Karolinas zuspielt, dann is…«
»Dann ist die Reichsunmittelbarkeit des Stifts Geschichte«, unterbrach sie Sebastian, »keine Sekunde wird Albero zögern, seinen Vorteil aus der Situation zu ziehen.«
Gegen diese Überlegungen kam Laetitia nicht an. Bisher nichtige Wahrnehmungen verwandelten sich in Indizien, die für ihre Hypothese sprachen. Allein die Intensität, mit der Karolina nach Burkhards Tod auf sie eingeredet hatte, damit sie nicht zum Vogt lief und von ihrer Beobachtung berichtete, wirkte mit einem Male suspekt auf Laetitia. Angeblich hatte Karolina sie damit schützen wollen. Vielleicht bezweckte sie aber auch, jede Zeugenaussage zu unterbinden, die von Margund als Täterin ablenkte? Womöglich hatte die Nonne sogar im gleichen Moment den teuflischen Plan gefasst, die Hure Brigitta zum Schweigen zu bringen?
Nicht zu vergessen: die Smaragde! Hatte nicht nur Burkhard, sondern womöglich auch Gerwin die Nonne erpresst? Hatte sie sich – wohl wissend, dass es sich um einen Schatz handelte, den Laetitia im Auftrag Karolinas bester Freundin Heloïse hüten musste – daraus bedient, um den Kerl ruhigzustellen? All diese Gedanken schürten den Verdacht gegen
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