Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)
lenkte seine Schritte vom Domplatz fort. Bald darauf bogen sie gemeinsam in eine Gasse, die zum Konstantinplatz führte. Sebastians Hinweis hatte etwas Wahres. Sie sollten sich diskret verhalten. Man wusste nie, wer lauschte. Je weniger der Mörder vom Stand ihrer Nachforschungen wusste, desto besser.
»Wie Ihr wisst, bin ich ein Mensch, der mit beiden Füßen auf der Erde steht. Ich war mir vollkommen sicher, dass es eine natürliche Erklärung dafür geben muss, wie der Mörder zu Brigitta in die Kammer gelangte. Da war keine Hexerei im Spiel. Ich war fest entschlossen, das Geheimnis zu lüften. Erst recht, da jetzt dieses Prophezeiungsgefasel aufgetaucht ist.«
Laetitia war gespannt. Sie erinnerte sich an die schmalen Fenster, durch die sich nicht der magerste Kinderkörper zwängen könnte. Noch dazu war es eine unverrückbare Tatsache, dass ausschließlich eine einzige Tür Zugang zu der Kammer bot. Eine Tür, für die es einen einzigen Schlüssel gab und die sie nur wenige Momente aus den Augen gelassen hatte. Viel zu kurz für den Mörder, um das Schloss aufzubrechen, ohne Spuren gewaltsamen Eindringens zu hinterlassen.
Keine hundert Schritte mehr waren es bis zum Konstantinplatz. Mächtig ragte die gegen Norden gerichtete Apsis des erzbischöflichen Palastes auf. Seit dem Tode Brigittas brachte der Anblick des Gebäudes eine noch düsterere Saite in Laetitia zum Schwingen als zuvor.
»Bestimmt werdet Ihr von alleine darauf stoßen, wenn ich Euch ein wenig in die entsprechende Richtung lenke«, meinte Sebastian, das Gesicht von einer leicht gönnerhaften Miene überzogen. »Erinnert Euch an den Tag von Brigittas Tod zurück. Für mich war es ja nicht das erste Mal, dass ich die erzbischöfliche Residenz betrat, aber für Euch war das anders. Denkt an die mächtige Halle. Schließt die Augen und konzentriert Euch. Was habt Ihr empfunden, als das Tor sich auftat und Ihr den Fuß in die riesigen Räumlichkeiten getan habt?«
» Empfunden ? Was soll ich schon empfunden haben?«, wunderte sich Laetitia schulterzuckend. Widerwillig ließ sie sich dazu überreden, die Lider zu schließen und sich in die Empfindung jenes Tages zurückzuversetzen. In ihrem Kopf entstanden Bilder vom altrömischen Audienzsaal, der sich früher in der heutigen Bischofsresidenz befunden hatte. Ein Frösteln überlief sie bei der Erinnerung an die Kälte des Marmors. Winzige, glänzende Steine fügten sich zu Mosaiken, deren Überreste die Wände säumten.
»Los, nun sagt schon.«
»Na ja, Respekt – Respekt habe ich empfunden.«
»Bloß Respekt? War das alles?«
»Es war Respekt, beinahe sogar Furcht«, gab sie zu. »Ich dachte an Kaiser Konstantin, der sich die riesige Basilika einst erbauen ließ. Konstantin muss ein Mann gewesen sein, der sich meisterhaft auf die Demonstration seiner Macht verstand.«
»Genau! Und damit sind wir schon beim Schlüssel zu unserem Rätsel! Der liegt nämlich in der Persönlichkeit von Kaiser Konstantin«, gab Sebastian triumphierend zurück.
Laetitia riss die Augen auf. »Ist Euch der klare Menschenverstand abhandengekommen? Kaiser Konstantin liegt seit Hunderten von Jahren in seinem Grab und jetzt soll er uns den entscheidenden Hinweis liefern, wie der Mörder zu Brigitta in die Kammer gelangte?«
Ihr Vorwurf schmälerte Sebastians Enthusiasmus in keiner Weise. Im Gegenteil, er strahlte vor Stolz. »Konstantin war ein genialer Herrscher, der dem Christentum zu seinem Triumphzug über das gesamte Abendland verhalf. Darüber hinaus galt er als kluger Redner und weiser Taktiker. Andererseits war er auch ein skrupelloser Machthaber, der nicht vor dem Mord an seiner Ehefrau und seinem Sohn zurückschreckte. Davon sprechen die Schriften des Chronisten Ammianus Marcellinus, von denen sich eine Kopie in den bischöflichen Archiven fin…«
»Kommt zum Punkt, ich bitte Euch«, unterbrach ihn Laetitia leicht gereizt.
»Nur die Ruhe, ich bin ja schon dabei. All diese Facetten von Konstantins Persönlichkeit sind nicht diejenigen, die mich auf des Rätsels Lösung brachten. Entscheidend ist vielmehr seine Herkunft.«
»Seine Herkunft? Was um Himmels willen hat Konstantins Herkunft mit Brigittas Tod zu tun?«
»Überlegt – denkt nach! Geboren wurde Konstantin in Naissus, also dort, wo sich die Handelswege aus dem Westen in Richtung Byzanz und Griechenland gabeln. Geprägt hat seine frühen Jahre die Nähe zur südlichen Sonne. Er war ein Mann der Glut, er liebte die Farben des Südens, das
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