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Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Schulligen
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Karolina so stark, dass ihn Laetitia beinahe wie eine brennende Gewissheit empfand. Ihre Hände krampften sich zu Fäusten vor wütender Enttäuschung. Die Gegenwart eines anderen Menschen, auch wenn es Sebastian war, wurde ihr mit einem Mal unerträglich.
    »Ich verstehe, wenn Ihr jetzt allein sein wollt«, sagte Sebastian, der ihre Gedanken zu erraten schien.
    Laetitia nickte. Sie musste fort von hier. Noch einmal streifte ihr Blick die rote Fassade des Palastes, der seit Jahrhunderten stoisch hinnahm, was in und vor seinen Mauern geschah. Dann wandte sie sich ab und eilte davon. Immer schneller wurden ihre Schritte, während ihre Gedanken um ihre vermeintliche Freundin Karolina kreisten. In die Enge gedrängt hatte die Nonne offenbar geglaubt, keinerlei Wahl zu haben. Aber hierin lag ein Irrtum, vielleicht sogar der größte Irrtum, dem ein Mensch unterliegen konnte. Der Mensch hatte immer eine Wahl. Das erkannte Laetitia in diesem Moment deutlicher als je zuvor. Immer, immer und zu aller Zeit hatte der Mensch eine Wahl. Vielleicht war es genau diese Entscheidungsfreiheit, mit der Gott ihn strafte?
    Auf dem Hauptmarkt angelangt, wurde Laetitia die Widersinnigkeit ihrer Eile bewusst. Je später sie das Stift erreichte, desto besser, denn sie hatte nicht die geringste Lust, Karolina ins Gesicht sehen zu müssen. Ob sie zu Wilhelm gehen sollte, um von ihrem Verdacht zu berichten? Ein solcher Schritt wollte sorgfältig überlegt sein. Laetitia sah um sich und stellte fest, dass sie hier die nötige Ruhe zum Nachdenken finden konnte. Der Marktplatz gab sich der Trägheit des Sonntags hin und es zeigte sich jetzt, zur üblichen Essenszeit, kaum eine Menschenseele. Die meisten Trierer Bürger saßen bestimmt über ihren Tellern mit dampfender Suppe. Sogar den Armen steckte man heute ein paar Brotkanten zu, die sie in einer geschützten Ecke verzehren konnten. Nicht einmal ein Hämmern von den Ausbesserungsarbeiten am Glockenturm des Doms ertönte. Am heutigen Sonntag ruhte der Frondienst, zumindest hier im Zentrum der Stadt. Draußen in Sankt Matthias mochte natürlich ein anderes Bild herrschen, weil die Zeit für die Fertigstellung der Bauarbeiten an der Kirche drängte.
    Laetitia trat aus dem Schatten der Häuser hinaus auf die lichtbeschienene Marktsäule zu und ließ sich auf das Podest gleiten. Sie schloss ihre Lider und spürte die roten und warmen Strahlen der Herbstsonne auf ihrem Gesicht. Gegen ihren Groll auf Karolina half das Sonnenlicht nicht. Mit dem aufgekommenen Verdacht verloren die Versprechungen der Nonne all ihren Wert. Dabei hatte Laetitia Karolinas Angebot, sie beim Kampf um ihr Geburtsrecht zu unterstützen, unvergleichlich gutgetan. Sie hatte sich dem Schicksal nicht mehr ausgeliefert gefühlt. Nun jedoch, da sich Karolina als potenzielle Verbrecherin entpuppte, drohte die von ihr geschenkte Hoffnung zur eitlen Spinnerei zu verkommen. Zu einer wahnwitzigen Idee, in die sich ein überspanntes Mädchen verstieg und die in Wirklichkeit zum Scheitern verurteilt war. Laetitia wehrte sich mit aller Vehemenz gegen diesen Gedanken. Nein, sie durfte solch einem negativen Gefühl keinen Raum lassen. Sie wollte kämpfen, genau das würde sie tun – ohne Karolina, ja, notfalls ohne irgendjemanden auf der Welt! Ungerechtigkeit durfte nicht tatenlos hingenommen werden. Weder in ihren persönlichen Angelegenheiten noch bei den Vorwürfen gegen Margund.
    Sie würde selbst nach Martia reisen und ihr Recht fordern, doch zuvor gab es in Trier noch viel zu tun. Jemand hatte sich dreier Morde schuldig gemacht und Laetitia würde ihn zu fassen kriegen. Und wenn Karolina tatsächlich die Täterin war, sollte sie ihre gerechte Strafe erhalten. Als nächsten Schritt musste sie Wilhelm über die Existenz des Hypocaustums aufklären. Würde er sich überzeugen lassen? Denn allein die Möglichkeit, dass der Mörder sich durch den Keller Zugang verschafft haben könnte, reichte nicht als Beweis aus, dass er auch wirklich so vorgegangen war. Ohne Weiteres könnte Wilhelm stur auf der Hypothese beharren, die Hure sei das Opfer von dämonischen Kräften geworden. Bei Lichte betrachtet war genau diese Reaktion von ihm zu erwarten. Laetitias vorheriger Optimismus, dass Wilhelm nun seinen Glauben an ein Hexenwerk von Margund aufgeben musste, bröckelte aus einem schlichten Grund: Jegliches Abweichen von dieser These würde Wilhelms peinlichen Irrtum deutlich machen.
    Laetitia zog die Stirn kraus. Wilhelm galt seine Bildung alles.

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