Der Bund des Raben 01 - Dieb der Dämmerung
den Spruch zu bekommen.«
»Erienne, ich bin mir der Gefahren durchaus bewusst, aber es liegt bei mir, mich diesen Gefahren zu stellen. Irgendjemand muss es tun.«
»Ja!«, sagte sie und beugte sich vor, wobei sie beinahe ihren Wein verschüttet hätte. »Die vier Kollegien müssen die Entdeckung gemeinsam bewachen, falls es wirklich eine ist. Das ist der einzige Weg, dafür zu sorgen, dass sie nie benutzt wird.«
Der Hauptmann lachte. »Ich kann nicht glauben, dass Ihr von mir verlangt, den Spruch bei genau den Leuten zu lassen, die fähig sind, ihn zu benutzen. Wenn ich ihn behalte, sind wir alle sicher.«
»Wenn jeweils eines von drei Kollegien einen Katalysator hat, dann ist es noch sicherer.«
»Und ich soll Euch glauben, dass Eure Neugierde nicht dazu führen wird, dass Ihr Experimente durchführt?« Er machte eine geringschätzige Handbewegung. »Ich kenne die Magier. Ich weiß, wie sie denken und wie Ihr denkt. Nur ein Mann, der kein Magier ist, kann mit der Aufgabe betraut werden, Dawnthief zu bewachen. Und dieser Mann werde ich sein, ob mit oder ohne Eure Hilfe. Willigt Ihr nun ein, das zu tun, was ich von Euch verlange?«
Sie nickte, und der Kampfgeist verließ sie. Wenigstens konnte sie hier einen gewissen Einfluss ausüben. Sie ließ den Kopf sinken. Es hatte nichts mit Kontrolle zu tun. Sie half ihm nur aus einem einzigen Grund. Keine Moral der Welt war so wichtig wie das Leben ihrer Kinder.
Die Reise verlief ohne Anstrengungen. Sie hielten sich von den wenigen Dörfern fern, die hier und dort zwischen den sanft gewellten Weiden und Wäldern auftauchten. Der Rabe
blieb meist in Deckung des dichten Waldlandes und benutzte Wildwechsel oder selten benutzte Pfade von Jägern und Händlern. Sofern sie am Rand des Waldes ritten, behielt Talan den Sonnenstand im Auge, während Richmonds Orientierungssinn ihnen half, die richtige Richtung zu finden.
Hirads Gedanken kreisten nach einer Weile nicht mehr nur um die Ereignisse, die er jenseits des Risses erlebt hatte, und schließlich konnte er die Erinnerungen sogar ganz und gar vertreiben, wenn er in der frischen Luft Balaias tief durchatmete. Er hatte die Schönheit des Landes noch nie wirklich zur Kenntnis genommen. Erst jetzt, nachdem er eine andere Welt gesehen hatte, wusste er sie zu schätzen. Die Männer des Raben unterhielten sich über dieses und jenes, und die Stimmung wurde merklich besser, während sie unter einem warmen Himmel, bei leichtem Wind und zwischen üppig wachsenden Pflanzen ritten, und die Plaudereien am Lagerfeuer drehten sich oft um übertriebene Erzählungen von Kämpfen und Siegen. Nur die deutlich fühlbare Abwesenheit des Unbekannten dämpfte die Stimmung. Im Augenblick weckten Geschichten über den großen Mann meist ein Gefühl von Trauer und Verlust, worauf tiefes Schweigen folgte.
Es war durchs sanfte Hügelland und durch die Wälder von Baron Pontois ein Ritt von höchstens drei Tagen bis zur Burg der Schwarzen Schwingen. In dieser Gegend kannte sich der Rabe gut aus, und als die Gefährten weiter nach Nordosten kamen, wichen die Hügel den felsigen kahlen Gipfeln des Gebirges. Das saftige Grün der Bäume und Gräser wurde ersetzt durch zähes Gebüsch, Farn und Moos, und sie wussten, dass sie sich ihrem Ziel näherten.
Am Nachmittag des dritten Tages zwang ein Wetterumschwung den Raben, unter einem tiefen Überhang in einem
Tal, durch das sie von Süden nach Norden aufgestiegen waren, haltzumachen.
Nach kaum einer Stunde war die Sonne hinter dicken Gewitterwolken verschwunden, die durchs Tal herunter in ihre Richtung gedrückt wurden. Ein Wind von Norden, kalt und rau, kam auf. Die Temperatur sank, bis sie sich die Mäntel um die Schultern legen mussten. Dann drängten dicke Wolken ins Tal, und der Niederschlag setzte ein. Der Rabe beeilte sich, unter den Felsen Schutz zu finden.
Sie stiegen ab und zogen sich so weit wie möglich zurück, während die Pferde zum Grasen draußen im eintönigen Regen blieben.
»Dann hat Travers uns wohl seinen Willkommensgruß geschickt«, bemerkte Talan.
»Ja, ich bin sicher, dass Hirad ihn auch hierfür verantwortlich machen wird«, sagte Ilkar.
»Und ob ich das tun werde.«
Der Regen wurde heftiger, die Tropfen prallten von den frei liegenden Felsen ab, sammelten sich auf der festgetretenen Erde und drückten die Pflanzen nieder, die sich allen Widrigkeiten zum Trotz hier halten konnten.
Talan steckte seinen Kopf unter dem Überhang hervor und blickte nach Norden.
»Es
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