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Der Bund des Raben 01 - Dieb der Dämmerung

Titel: Der Bund des Raben 01 - Dieb der Dämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Barclay
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lange, wenn die glücklichen Erinnerungen an die Jungen den Alpträumen wichen, in denen sie ihre Kinder kalt und einsam in einem staubigen Raum liegen sah, ohne irgendjemanden in der Nähe, der sie beschützen konnte.
    Sie wusste, dass die Antwort recht einfach war. Sie musste nur den Wächter rufen und einwilligen, dem Hauptmann zu helfen, wenn sie ihre Kinder wiedersehen wollte. Doch ihm zu helfen, widersprach allem, was sie je gelernt hatte. Und nicht nur das. Sie glaubte auch, dass er auf einem gefährlichen Irrweg war, und ihm zu helfen, würde Balaia in eine noch größere Gefahr bringen, als es ohnehin schon der Fall war.
    Nach zwei Tagen konnte sie nicht mehr schlafen, sie konnte nicht essen und wusch sich nicht mehr, und ihre Sehnsucht war überwältigend. Sie konnte nur noch mit gesenktem Kopf durchs Zimmer schlurfen, immer rundherum im Raum, die Namen der Jungen rufen und beten, dass sie sicher zu ihr zurückkehrten. Sie dachte nur noch an ihre Kinder, und ihr Körper zitterte vor Verlangen, sie wiederzusehen.
    Am dritten Tag, als sie schon beinahe fürchtete, den Verstand zu verlieren, und als sie sicher war, dass ihre Jungen ohne sie vor Angst vergehen mussten, rief sie den Hauptmann. Als sie sich selbst im Spiegel sah, liefen ihr die Tränen über das schmutzige Gesicht. Ihr Haar war strähnig und fettig, verfilzt und wirr. Sie hatte dunkle Ringe unter den Augen, die verrieten, wie ausgezehrt sie war, und ihr Nachthemd war an einer Schulter zerfetzt, wo sie an einem vorstehenden Nagel hängen geblieben war.

    »Ihr habt Euch selbst schmoren lassen«, erwiderte der Hauptmann. »Die Lösung lag allein bei Euch.«
    Sie war viel zu müde, um zu widersprechen, und ließ sich auf einen Stuhl fallen. »Lasst mich die Kinder sehen«, verlangte sie.
    Der Hauptmann ignorierte ihre Bitte. »Ich nehme an, Ihr habt mir etwas zu sagen?«
    »Was wollt Ihr von mir?«, sagte sie. Ihre Stimme war belegt vor Erschöpfung.
    »Gut«, sagte er. »Gut. Ich wusste doch, dass Ihr zur Vernunft kommt. Ich sage Euch, was wir tun werden. Zuerst einmal will ich, dass Ihr etwas ausruht, und ich will es Euch leichtmachen, indem ich Euch verspreche, dass Ihr sehr bald schon Eure Söhne sehen sollt. Wie Ihr sicher bemerkt habt, halte ich, was ich versprochen habe. Dann können wir über Eure Mitwirkung reden, wenn es darum geht, Balaia vor dieser entsetzlichen Erfindung, diesem Dawnthief, zu retten.«
    »Ich muss sie sofort sehen«, sagte Erienne.
    Der Hauptmann beugte sich über sie und drehte ihr Gesicht zu sich. Sie sah ihn an, und sein Gesichtsausdruck wurde weicher und zeigte väterliche Sorge.
    »Erienne, schaut Euch nur an. Eure Kinder werden erschrecken, wenn sie Euch so sehen. Ihr müsst schlafen, Ihr müsst Euch waschen. Kommt mit.« Er stand auf, half ihr beim Aufstehen und geleitete sie zum Bett. Er schlug die Decken zurück, und sie legte sich hin, ohne zu protestieren. »Ich bleibe bei Euch, bis Ihr schlaft. Und träumt etwas Schönes, denn wenn Ihr aufwacht, werdet Ihr Thom und Aron sehen und erkennen, dass es ihnen gutgeht.« Er strich ihr die Haare aus dem Gesicht, und obwohl sie dagegen ankämpfte, umfing sie der Schlaf mit eisernem Griff, und sie fiel in einen tiefen Schlummer.

    Der Hauptmann wandte sich breit lächelnd an Isman. »Siehst du, Isman? Entbehrungen können bewirken, was man mit Gewalt nicht zu erreichen vermag.« Er richtete sich wieder auf. »Und jetzt beschäftigen wir uns mit einem weiteren Stück des Puzzlespiels. Wir müssen uns überlegen, wie wir unsere wichtigste Beute zu fassen bekommen.«
     
    Ilkar starrte ins Leere und versuchte, sich wieder zu fangen. Die Stille schmerzte in seinen Ohren. Talan war niedergekniet und hatte die Augen des Unbekannten geschlossen, und jetzt standen er, Richmond und Ilkar vor dem Leichnam des großen Mannes, während der Wind durch die offene Tür der Scheune wehte und sein blutiges Haar zerzauste. Hirad, der den letzten Hund enthauptet hatte, war zwei Schritt zurückgewichen und zusammengebrochen. Denser kümmerte sich um ihn.
    Gedanken schossen wie ein unverständliches Trommelfeuer durch Ilkars Kopf. Den Unbekannten tot vor sich liegen zu sehen, das war etwas, das er sich nie hatte vorstellen können. Die Aussicht, dass der Kämpfer nicht mehr da war und nicht die richtigen Worte sagen und nicht mehr die richtigen Entscheidungen treffen konnte, um sie alle zu retten, das ging über Ilkars Fassungsvermögen.
    »Warum, zum Teufel, hat er das gemacht?«, fragte

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