Der Bund des Raben 01 - Dieb der Dämmerung
Alles, was man brauchte, waren Ruhe und ein Opfer oder ein Gebet und ein passender Zugang.
Schließlich fiel sein Blick auf Hirad, der so tief schlief, dass der Atem kaum zu bemerken war. Der Mann hatte Glück. Trotz seiner Zuversicht hatte Denser keine Ahnung gehabt, ob das vom Julatsa-Magier für die Warme Heilung geformte Mana überhaupt brauchbar sein würde, oder ob Ilkars Widerstreben, den Manastrom zu lenken, die Kraftübertragung beeinflussen würde. Es war für Ilkar eine interessante Erkenntnis, dass die Warme Heilung für die beiden verfeindeten Kollegien, von kleinen Ausschmückungen abgesehen, identisch verlief. Wieder lächelte er. Er fragte sich, ob Ilkar jemals die Augen öffnen und die Wahrheit erkennen würde, die seine Meister ihm und allen seinen Brüdern vorenthielten.
Eine einzige Sorte Magie. Eine einzige Sorte Magier.
Denser saß dicht bei der Tür und lauschte dem Wind, der die Zweige der dürren Büsche an die Scheune klopfen ließ. Er füllte die Pfeife aus der Gürteltasche nach und runzelte die Stirn, als er sah, wie weit sein Vorrat schon geschrumpft war.
»Hmm.« Er zündete die Pfeife an und ließ sich von der Flamme, die er mit den Fingern produziert hatte, einen Moment lang das Gesicht wärmen. In seinem Mantel regte sich der Hausgeist und schmiegte den Kopf an seinen Bauch.
Draußen gab es ein neues Geräusch, ein Flüstern, das der Wind mit sich trug. Ein Gleiten. Es war ein Geräusch, das Denser ebenso gut kannte wie der Hausgeist, der seinen
Kopf aus dem Mantel steckte, um ihn anzuschauen. Nase und Schnurrbart zuckten, die Ohren waren aufmerksam gespitzt.
Das Flüstern kam näher, das Rauschen verwandelte sich in ein langsames Flappen, und dann konnte man hören, wie direkt rechts neben der Scheunentür etwas landete. Krallen kratzten über die Erde, die Schwingen flatterten noch einmal, dann entfernte sich das Flüstern wieder und erstarb.
Denser und die Katze sahen einander tief in die Augen.
»Nun gut, nun gut«, sagte der Dunkle Magier. »Deshalb hast du es getan. Du hast gewusst, dass sie kommen.« Er schüttelte den Kopf. »Und ich habe es nicht einmal geahnt.«
10
Hirad wurde durch die Geräusche von geordneten Bewegungen geweckt. Er schlug die Augen auf und hörte Ilkar verlangen, jemand möge die Pferde satteln. Das Knistern und der Geruch eines Feuers verrieten ihm, dass Richmond eine Mahlzeit zubereitete. Licht strömte durch die offene Scheunentür herein, und die noch vorhandenen Schatten waren mit einem hellen Gitterwerk aus Licht überzogen, das durch die Lücken zwischen den Brettern hereinfiel. Hirad drehte sich. Er spürte einen dumpfen Druck im Rücken, doch die Schmerzen, an die er sich erinnerte, waren verschwunden.
»Guten Morgen, Hirad.«
Hirad drehte den Kopf und stemmte sich auf die Ellenbogen hoch. »Du kannst sagen, was du willst, Talan, aber ich bedaure die Frau, die morgens aufwacht und deinen Anblick ertragen muss.« Er hob einen Arm, und Talan half ihm auf die Beine. Als er stand, sah er sich in der Scheune um, und die Erinnerungen setzten mit unangenehmer Wucht wieder ein.
Sie waren nicht genug. Keinesfalls waren sie genug. Die
Lücke, die der Unbekannte hinterließ, war gewaltig. Nicht zu schließen. Hirads Herz pochte bis zum Hals hinauf, und er schaute ein weiteres Mal in der Scheune umher. Als habe er den großen Mann nur übersehen, als könne er ihn gleich finden, wie er etwa hinter den Pferden auf einem Strohballen saß. Dann ging er zur Tür, um seinen Augen noch einmal die Gewissheit zu verschaffen, die er ohnehin schon hatte.
Natürlich, dort war das Grab, und daneben stand Denser mit der Katze. Der Magier starrte den niedrigen Erdhügel an, als habe er gerade eben eine unangenehme Überraschung erlebt. Dann schüttelte der Magier den Kopf.
»Ich weiß, wie du dich fühlst«, sagte der Barbar.
Denser lächelte humorlos. »Wahrscheinlich nicht.«
»Was ist die Ursache für dies hier?« Hirad deutete auf die Szene, die sie vor sich sahen. Die Luft war so dunstig wie am vergangenen Tag. Obwohl die Sonne ungehindert von Wolken ihre Bahn am Himmel zog, lag ein leichter Nebel über Septerns Anwesen. Was weiter als dreißig Schritt entfernt war, konnte man kaum noch erkennen. Wenigstens bewegten sich keine dunklen Schatten am Horizont, aber das konnte sich rasch ändern.
»Ich glaube, das ist entweder eine Nachwirkung der Sprüche, die hier im Haus gewirkt wurden, oder der Riss verursacht Störungen in der Atmosphäre. Wir
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