Der Bund des Raben 01 - Dieb der Dämmerung
zanken.«
Ilkar stieß ein kurzes Lachen aus. »Und das sagt der Mann, der Dawnthief für sich selbst und sein Kolleg bekommen will.«
Beide standen auf und klopften sich den Staub aus der Kleidung.
»Willst du ihn denn nicht auch haben?« Denser tastete seine Taschen nach der Pfeife ab. »Julatsa stellt sich selbst auf ein Podest und bittet förmlich darum, heruntergestoßen zu werden. Du weißt doch, dass du Dawnthief nicht allein heraufbeschwören kannst, und trotzdem nimmst du nicht unsere Hand, die wir dir in Freundschaft und Vernunft entgegenstrecken.«
Ilkar fühlte sich, als hätte ihm ein harter Schlag den Atem genommen. Seine Ohren liefen rot an, und das Blut strömte mit Macht in sein Gesicht.
»Vernunft? Aus Xetesk? Denser, das Letzte, was ich von den Xetesk-Leuten gesehen habe, war eine Magierin, die für Erskans Handelsherren gekämpft und mit der Geistschmelze die Menschen getötet hat. Das hatte mit Vernunft nicht viel zu tun.«
Denser stopfte gelassen Tabak in den Kolben seiner Pfeife und steckte das Kraut mit einer auf seinem Daumen tanzenden Flamme an.
»Aber gewiss«, gab er zurück. »Du hast ja bei deiner Arbeit für den Raben noch nie jemanden getötet.«
»Das ist doch etwas ganz anderes.«
»Wirklich? Deine tödlichen Sprüche riechen nach Selbstgerechtigkeit, und daher gehen sie wohl in Ordnung, was?« Denser verzog höhnisch das Gesicht. »Du bist ein Söldner-Magier, Ilkar. Deine Moral ist das Geld, und dein Kodex ist der des Raben. Vergiss mein Kolleg und betrachte meine Taten, die nicht schlimmer sind als deine. Ihr in Julatsa seht euch als die weißen Ritter der Magie, und doch steht ihr, mindestens als Individuen, nicht höher als irgendein anderer Magier von irgendeinem anderen Kolleg. Wir sollten mal mit Lystern und Dordover darüber reden.«
»Das sagst du jetzt, und doch gedeiht ihr durch das Blut und Chaos zwischen den Dimensionen. Euer Kolleg hat immer wieder die Bitten zur Mäßigung missachtet, und deshalb jagen dich die Schwarzen Schwingen. Und mich auch. Ich …«
»Um Himmels willen, könnt ihr zwei nicht endlich Ruhe geben? Ich will mich erholen.« Die Stimme ließ Ilkars Zorn schlagartig verfliegen. Er lächelte, und Denser folgte seinem Beispiel.
»Ach, Hirad, du wirst wohl nie erfahren, von welchen Ängsten deine Genesung begleitet war«, sagte der Dunkle Magier.
Ilkar hatte Mühe, ein Kichern zu unterdrücken. Er blickte zu Boden und versuchte, ernst dreinzuschauen. Hirads Augen lagen tief in den Höhlen und hatten schwarze Ringe, und sein Gesichtsausdruck verriet, wie viel er in den letzten Stunden durchgemacht hatte.
»Ich habe alles gehört«, sagte der Barbar. »Wir sollten den Unbekannten begraben. Ich weiß ja, dass eine Warme Heilung nicht lange vorhält.« Er kam auf die Beine.
Denser nickte. »Du wirst in weniger als einer Stunde einschlafen.«
Talan holte eine Schaufel aus seinem Gepäck. »Ich grabe. Richmond kann den Toten zurechtmachen. Die Totenwache halten wir dann am Morgen.«
Ilkar nickte dankbar. Er war stärker erschöpft, als er zugeben wollte. Die Anstrengung, die Warme Heilung zu wirken, belastete seinen Geist so sehr wie seinen Körper. Er hatte Hirad geholfen und dabei ein Verbrechen gegenüber Julatsa begangen, für das seine Brüder ihn schneiden würden. Er schauderte. Höchstwahrscheinlich würde es aber keiner von ihnen je herausfinden.
Hirad hockte neben dem Erdhügel, der den Unbekannten bedeckte, vor der Scheune. Er hatte das Schwert gezogen und hielt es in den Händen, die Spitze auf den Boden gesetzt und den Griff vor seinem Gesicht. Sein Kummer war nicht ganz so groß wie beim Verlust von Sirendor, doch irgendwo in seinem Hinterkopf bewegten sich Gedanken, die er nicht ganz fassen konnte. Er fühlte sich ausgebrannt und nutzlos. Schon wieder. Es war ein Gefühl, an das er sich zu gewöhnen begann. Die Augen taten ihm weh, und er hob sie zum sich verdunkelnden Himmel, als der Dunst, der ihre Reise den ganzen Tag über begleitet hatte, sich verdichtete und die Sterne vom Himmel löschte.
Alle schliefen. Richmond und Talan hatten die ersten Wachen übernommen, sie lagen jetzt links und rechts in den Ecken der Scheune auf dem Rücken und schnarchten im Chor. Der völlig entkräftete Ilkar hatte sich auf einem Flecken
mit weicher Erde ausgestreckt und die Hände tief in die Krume gebohrt, um im Schlaf seinen Mana-Vorrat wieder aufzuladen. Denser lächelte. Wenn Ilkar nur wüsste, wie einfach es sein könnte.
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