Der Bund des Raben 02 - Jäger des Feuers
unsere Absichten verraten?« Sie deutete auf den Turm der Wesmen, der Tag und Nacht bemannt war. Er wurde gerade in eine neue Position geschoben, vermutlich um die auf dem Platz stattfindende Auseinandersetzung besser beobachten zu können.
»Das Gemetzel vor dem Nordtor tut mir in der Seele weh, aber noch schlimmer ist der Gedanke, irgendeiner von Euch könnte glauben, ich vernachlässige meine Pflichten.« Sie senkte die Stimme wieder. »Wir sind nur wenige und haben viele Feinde, und deshalb muss unser Angriff zu unseren Bedingungen stattfinden, und zwar genau im richtigen Augenblick, denn sonst werden wir abgeschlachtet. Ich verstehe Eure Ungeduld, aber wenn wir es so tun, wie ich es sage, dann werden wir insgesamt mehr Menschen retten. Sollte das nicht unser Ziel sein?«
»Und was ist mit dem Kolleg?«, fragte der Soldat.
»Es ist die Hand, die uns nährt, und die Kraft, die uns antreibt. Wir werden es mit allem verteidigen, was wir haben. Ich will Euch nicht anlügen. Wenn wir angreifen, um
die Belagerung zu durchbrechen, dann darf das Kolleg nicht der Gnade der Wesmen ausgeliefert werden.« Kerela unterbrach sich und wartete auf eine Antwort. »Kein Julatsaner soll vergeblich sterben. Kein Leben soll verschwendet werden, solange ich Erzmagierin bin. Will an diesem Punkt noch jemand etwas sagen?« Die Zuhörer sahen einander an, einige ließen die Köpfe hängen.
»Gut«, fuhr die Erzmagierin fort. »Nur noch eines, bevor Ihr geht. Ich bin die Erzmagierin, und dieses Kolleg untersteht meinem Befehl, dem Befehl des Rates und, da wir belagert werden, auch dem Befehl von General Kard. Wer der Ansicht ist, dies sei nicht hinnehmbar, der möge mit meinem Segen in den Schirm laufen. Habe ich mich deutlich ausgedrückt?« Ein paar nickten, ein paar nicht. Die meisten fanden plötzlich, dass ihre Schuhe der interessanteste Anblick im Kolleg waren. Kerela nickte, sammelte den Rat um sich und ging zum Turm.
Hinter ihnen war Kards Stimme zu hören. »Zerstreut Euch. Kümmert Euch um Eure Pflichten. Nein, du nicht. Komm her, Soldat, komm her!«
Thraun stand am Heck des Einmasters und knurrte die Wesmen an, die sich am Strand gesammelt hatten. Er war der Ruderpinne im Weg, und Denser musste unter den wachsamen Blicken des Unbekannten um Thrauns Hinterteil herumgreifen, um das Boot zu steuern. Sie wurden nicht verfolgt. Die Flammen im zerstörten Lager warfen tanzende Schatten auf das im Wind leicht gekräuselte Wasser. Wolken hatten sich zusammengezogen, die den Mond fast vollständig verdeckten.
Hirad lehnte sich an, zog die Stiefel aus und kippte das Wasser über Bord. Er war müde. Sechs Tage waren sie geritten und gelaufen und hatten kämpfen müssen, wo sie es
nicht geplant hatten. Das Segel fing den Wind ein, war aber nicht ganz gebläht, und das Boot trug sie über die Bucht. Der Unbekannte Krieger saß auf der anderen Seite des Hauptmasts und wrang seine Socken aus.
Erienne und Will saßen auf dem Aufbau im Bug, wo sie der Takelage nicht im Weg waren. Ilkar hielt sich gleich neben Hirad mit beiden Händen am Dollbord fest und starrte verkniffen ins Leere.
Sie waren entkommen, aber es war alles andere als ein Spaziergang geworden. Hirad war allerdings immer noch nicht zufrieden, auch wenn ihr improvisierter Ausweichplan letzten Endes funktioniert hatte.
»Was ist da eigentlich passiert, Ilkar?«
»Diese dummen Wesmen auf dem Turm«, sagte Ilkar lächelnd. »Ich dachte, der Kerl wollte sich das Messer aus der Kehle ziehen, aber dann er hat ihre Alarmglocke geschlagen.«
»Wir mussten angreifen, bevor wir ganz oben waren«, ergänzte Denser und gab Hirad die Antwort, die dieser hören wollte. »Ilkar konnte nicht mehr zurück, weil er sonst seinen Tarnzauber verloren hätte und gegen mich geprallt wäre. Da ein Wächter den Zugang versperrt hat, blieb uns nichts anderes übrig.«
»Aber es waren keine sauberen Tötungen«, sagte Hirad.
»Wir sind Magier, keine Messerstecher«, gab Ilkar scharf zurück. »Ich habe so etwas noch nie gemacht, und du vermutlich auch nicht.«
»Wohl nicht«, räumte Hirad ein. »Aber ich muss dir gelegentlich mal zeigen, wie man einen Gegner mit einem Stich schnell tötet. Das hätte dir sicher geholfen.«
»Wenn wir wieder auf festem Boden sind, mache ich gern ein Training mit«, sagte Ilkar. »Aber im Augenblick versuche ich vor allem, nicht seekrank zu werden.«
Hirad lachte. Das Boot schaukelte kaum, die Überfahrt verlief reibungslos, und doch war der Elf
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