Der Bund des Raben 02 - Jäger des Feuers
da ist es.« Er schnappte sich ein kleines, in Leder eingeschlagenes Buch, das sie in Julatsa gefunden hatten, und blätterte es durch. »Hört euch das an. Es ist ein Teil eines Vortrags vor Studenten über gedankliche Prozesse. ›Es reicht nicht aus, einfach nur die Theorie einer Mana-Konstruktion zu verstehen, wenn man es mit den Kräften der Dimensionen zu tun hat. Man muss versuchen, in diese Gestalt einen Hauch der irdischen Aktivitäten einzubringen, irgendetwas Alltägliches und Normales, das dabei hilft, die Gedanken nicht nur während der Bildung, sondern auch während der Anwendung zu konzentrieren.
Ihr müsst berücksichtigen, dass die interdimensionalen Kräfte das Mana auf eine ganz andere Weise beeinflussen als der Raum von Balaia. Wenn Ihr einen Spruch wirkt, um diese Kräfte zu zähmen oder zu formen, dann entwickeln diese rasch etwas, das man eigentlich nur als Eigensinn bezeichnen kann. Eine Form, die Ihr geschaffen habt, um beispielsweise ein gebundenes Tor zu öffnen, kann schnell außer Kontrolle geraten. Wie sorgt man also dafür, dass man nicht die Konzentration verliert, und wie behält man die Kontrolle? Überlegt Euch, was Ihr tun wollt, und verknüpft es, wie ich schon sagte, mit etwas Alltäglichem. Wenn wir beim gebundenen Durchgang bleiben, so ist zu sagen, dass der Spruch bei seiner Anwendung das Material aus dem Raum von Balaia und aus der Zieldimension bezieht und beides zusammenführt, bevor die Dimensionen aneinander gebunden werden.
Also stellt Euch vor, Ihr legt zwei Stücke Stoff nebeneinander. Wie verbindet man sie? Indem man sie vernäht! Wir haben alle schon gesehen, wie Stoffstücke vernäht werden, also baut dieses Bild in Eure Vorstellungen ein, während Ihr die Mana-Gestalt entwickelt.‹« Ilkar reichte das Buch an Denser weiter. »Er fährt dann mit der praktischen Beschreibung eines Spruchs fort, den die Studenten üben sollten, aber eigentlich ist klar, was er meint. Wir müssen also im Grunde ein Loch in dieser Dimension und eins in der anderen Dimension zunähen und die Verbindung durchschneiden, um den Korridor zu schließen.«
Styliann nickte. »Habt Ihr noch etwas zu ergänzen, Denser?«
»Das ist ja alles gut und schön, aber ich erinnere mich nicht, irgendwann mal etwas darüber gelesen zu haben, wie man eine Nadel und einen Faden in die Konstruktion
einbaut. Ich kann mir vorstellen, dass die Sache dadurch instabil wird.«
»Das ist möglich, aber wir wollen nicht vorgreifen«, wandte Erienne ein. »Der Abschnitt, den wir über die theoretische Grundstruktur gelesen haben, ist unvollständig. Wir haben keine Ahnung, ob das, was wir bauen, überhaupt genug Kraft hat, um die Enden des Risses zu verschließen. Septern hat immerhin genau dort gestanden, wo er den Spruch wirken wollte. Wir müssen eine Distanz überbrücken, von der wir nicht einmal wissen, wie groß sie ist.«
Wieder nickte Styliann. »Das ist ein berechtigter Einwand, mit dem wir uns aber nicht weiter befassen müssen. Der Spruch zur Dimensionsverbindung, den wir im Understone-Pass eingesetzt haben, enthielt auch ein Element der Reichweite, das ich sehr gut verstehe. Wir vier haben genug Kraft, um eine Verbindung zu konstruieren. Es wird knapp, aber es müsste reichen.«
»Wir müssen Gewissheit haben, bevor wir anfangen«, wandte Ilkar ein.
»Das wird sich noch klären, Ilkar«, beruhigte Styliann ihn. »Aber jetzt müssen wir uns überlegen, wie wir, um Densers Bild zu gebrauchen, Nadel und Faden einbauen können.«
Hirad gähnte und streckte sich. Es sah aus, als sollte es eine lange Nacht werden.
Sein Name war Aeb, aber das war auch schon das einzige individuelle Kennzeichen, das er besaß. Er hielt sich sowieso nicht für ein Einzelwesen. Nicht, wenn er alleine einen Auftrag bekam, und erst recht nicht jetzt, wenn er mit allen seinen Brüdern zusammenstand. Er konnte sie alle spüren, als sie sich bereitmachten, das Haus zu verteidigen,
weil ihr Gebieter, der Magier Styliann, es befohlen hatte. Die Gründe waren unwichtig, der Befehl war alles.
Aeb war ein starker Mann, der sich nur noch verschwommen an seine Berufung im Alter von dreiundzwanzig Jahren erinnerte. Er war wie alle anderen mit dickem, schwarzem Leder und einem Kettenhemd, festen Stiefeln und einer Ebenholzmaske bekleidet. Bewaffnet war er mit Schwert und Streitaxt. Völlig gelassen betrachtete er den Abschnitt des Landes, der vor ihm lag. Der Horizont war voller Wesmen, doch ihn erfüllte eine Ruhe, die niemand
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