Der Bund des Raben 02 - Jäger des Feuers
verstehen konnte, der nicht selbst ein Protektor war.
Seit mehreren Stunden hatten die Protektoren schon den Aufmarsch der feindlichen Armee beobachtet, zuerst durch die Gedanken von einem Dutzend Spähern, und später mit eigenen Augen, als die Streitmacht der Wesmen aus Julatsa herankam und die Protektoren in einer Entfernung von hundertfünfzig Schritt umstellte. Als der Tag sich dem Ende neigte und in die milde Abenddämmerung überging, erforschte Aeb die Gedanken seiner Brüder. Keiner von ihnen glaubte, dass der Angriff vor dem Morgengrauen beginnen werde.
»Wir werden uns abwechselnd ausruhen«, dachte Aeb. Die Mitteilung lief sofort durch die Reihen der Protektoren. Er sah sich nach links und rechts um, hinter sich wusste er die Ruinen des Hauses. Überall in der Verteidigungslinie, die keine Lücke ließ, durch die man hätte das Gebäude angreifen können, traten Brüder drei Schritte zurück und gingen zu den Kochfeuern, die in einer Reihe angelegt worden waren. Neben jedem Feuer standen Brennstoff, Essen und Wasser bereit. Jeweils ein Drittel der Protektoren sollte vier Stunden ausruhen, bis die Bedrohung durch die Feinde den Rhythmus unterbrach und alle
bereit sein mussten. Zu keiner Zeit würde es eine Gelegenheit für einen Überraschungsangriff durch die Wesmen geben. Die Nacht war gefährlich, aber sie war für die Wesmen gefährlicher als für die Protektoren. Denn die Wesmen brauchten Licht, um wirkungsvoll zu kämpfen. Die Protektoren dagegen nicht.
Gefühle, Gedanken und geordnete Hinweise von seinen Brüdern zogen durch Aebs Kopf. All das spielte sich unmittelbar hinter der Bewusstseinsschicht ab, die auf den Kampf konzentriert war. Er wusste jederzeit, was sie sahen und hörten, er fühlte jeden Impuls in ihren Körpern, wenn sie atmeten, er kannte ihre Schwächen und alle Muskeln, die schmerzten, jede Verletzung, die ihnen zugefügt worden war.
Die einzige Sorge, die sich im Gruppenbewusstsein bemerkbar machte, hatte mit der Tatsache zu tun, dass Cil und die anderen fünf, die den Gebieter begleitet hatten, nicht mehr zu spüren waren, auch wenn ihre Seelen sich noch im Verband befanden. Es war, als schliefen sie irgendwie. Lebendig, aber nicht bei den Brüdern. Nach ihrer Rückkehr würde die Gemeinschaft wieder stärker sein.
»Die Verlorenen sind immer noch nicht zu spüren«, sendete Ayl, der dazu eingeteilt war, nach den Seelen der sechs zu suchen und zu forschen, ob sie wieder aufwachten.
»Aber sie leben noch«, antwortete ein anderer. »Wenn du wieder in die vorderste Linie kommst und dich aufstellst, sobald die Schlacht beginnt, dann denke nicht mehr an sie.«
Aeb ließ den Blick über die Reihen des Feindes wandern, der in großer Zahl angetreten war. Er forschte in den Gedanken der anderen und schätzte, dass es etwa zehneinhalbtausend Gegner waren, allesamt erfahrene Kämpfer
und Männer, die über Magie und Soldaten gesiegt hatten. Sie glaubten an ihre Stärke und ihre Fähigkeit, die kleine Truppe vor ihnen einfach wegzufegen.
Das durften die Protektoren nicht zulassen. Ihr Gebieter verließ sich auf sie. Ebenso der Eine, der sie kannte, der aber nicht mehr unter ihnen war. Aeb ließ seine Gedanken an den Mann, der Sol hieß, zu seinen Brüdern ausstrahlen. Sie antworteten mit einem starken Drang, ihn zu beschützen.
Sie würden nicht versagen.
30
Nach einem dreitägigen anstrengenden Marsch ließ Lord Senedai schließlich seine Männer anhalten, damit sie ein Lager aufschlagen und ruhen konnten. Sie mussten sich etwas erholen und sich auf die kommende Schlacht einstellen. Es gab keinen Grund, den Angriff auf die Verteidiger zu überstürzen, die sich um die Ruinen jenes Hauses aufgestellt hatten, das in den Augen aller Wesmen ein Symbol für die Übel der Magie war. Viele seiner Krieger, die jetzt unter den Bannern am Feuer saßen, hätten nie gehofft, überhaupt so weit zu kommen. Die Geister hatten sie hierher geführt, und die Geister würden ihnen die Kraft geben, den Sieg zu erringen. Die Schamanen waren zwar ihrer zerstörerischen Magie beraubt, doch sie genossen die Achtung der Stämme und standen im Mittelpunkt des Stammeslebens.
Senedai hätte äußerst zuversichtlich sein müssen. Die Verteidiger des Hauses waren umzingelt. Sie konnten nicht mehr ausweichen, und sie waren im Verhältnis von zwanzig zu eins in der Unterzahl. Am Morgen würde ein Gemetzel beginnen, und danach wollte er den Raben jagen,
wohin auch immer er gegangen war. Er würde die
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