Der Bund des Raben 03 - Kind der Dunkelheit
nicht mehr genug Kraft zum Sprechen. Sie wusste, woher die Übelkeit kam, wollte es Ren’erei jedoch nicht erklären. Es war nicht das Essen, es war nicht die sanfte Bewegung der Meerulme , die mit einer steifen Brise in den Segeln die Bucht von Arlen ansteuerte. Es war nichts, was Ren’erei verstehen konnte, obwohl sie eine Elfenfrau war und eine angeborene Magie besaß. Sie verstand nicht die Kraft, die Erienne bei allem, was sie tat, leitete und unterstützte. Sie war keine Magierin.
Erienne wurde angegriffen. Sie wusste nicht von wo oder von wem, und dies machte ihr fast so viel Angst wie das, was sie fühlte. Auf dem Festland wusste nur der Rabe, dass sie kam. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie man sie von dort aus angreifen konnte.
Sie hatte auch mit dem Gedanken gespielt, sie sei einer Mana-Krankheit zum Opfer gefallen. In den Kollegien hörte man immer wieder Gerüchte, das Mana eines Magiers könne irgendwie infiziert werden. Erienne hatte diese Geschichten stets als Schauermärchen abgetan, doch als der erste Schub ihrer Übelkeit kam, war sie bereit, alles zu glauben, was nur halbwegs nach einer einleuchtenden Erklärung klang.
Als die Stunden vergingen und Erienne wieder klarer denken konnte, musste sie diese Annahme angesichts der Tatsachen jedoch verwerfen. Die Übelkeit war über sie gekommen wie ein Hammerschlag. Ihr Kopf hatte sich angefühlt, als schwappte dicke Suppe darin. Sie war kaum in der Lage gewesen, die Hand vor Augen scharf zu sehen. Der Angriff hatte eine körperliche Reaktion ausgelöst, die nicht mit irgendeiner normalen Erkrankung erklärt werden konnte. Und die Übelkeit hatte angehalten, obwohl Erienne sich inzwischen vergewissert hatte, dass mit ihren Mana-Fähigkeiten alles in Ordnung war.
Es war keine Infektion, es war keine Lebensmittelvergiftung, und es gab keine erkennbare Erschöpfung ihres Mana-Reservoirs.
Es war etwas, das in keinem Lehrbuch zu finden war. So fühlte es sich offenbar an, wenn jemand, der die eigene Signatur kannte, Sprüche auf einen losließ, ohne genau zu wissen, wo man war. Erienne konnte nicht sagen, ob es Freund oder Feind war, doch sie konnte raten. Lyanna. Ihre Tochter suchte das Bewusstsein ihrer Mutter. Ohne es zu bemerken, verletzte sie dabei ihre Mutter, und solange dieser Angriff anhielt, blieb Erienne die Welt der Magie verschlossen.
Die Erkenntnis erschütterte sie. Es war eine mächtige Waffe, gegen die es keinerlei Verteidigung gab. Glücklicherweise würde sie in ein paar Tagen Denser treffen.
Er wusste sicher, was zu tun war.
Am Abend war es wie beim letzten Versuch. Als das Feuer brannte und der Rabe erwartungsvoll zuschaute, versuchte Denser die Kommunion und bekam abermals keinen Kontakt zu Erienne. Wenn überhaupt, dann war
der Nebel, der sie umgab, noch dichter als bei den vorherigen Versuchen.
Er löste die Kommunion auf und blieb reglos liegen. Verzweiflung ergriff Besitz von ihm, hinter seinen geschlossenen Lidern sammelten sich die Tränen. Er war müde. Die Kommunion war ihm nie besonders leicht gefallen, und nach den drei Versuchen, die er bisher unternommen hatte, war sein Mana erschöpft. Er musste ausruhen und beten und seine Kräfte für einen weiteren Anlauf sammeln, doch seine Gedanken rasten, während er verzweifelt eine Lösung zu finden versuchte. Es war klar, dass der Schlaf lange nicht kommen würde. Er hatte keine Zeit dazu. Sie alle hatten keine Zeit.
»Denser?« Es war Ilkar. Er ließ die Augen geschlossen. Links spürte er die Wärme des Feuers; die flackernden Flammen schienen orangefarben durch die geschlossenen Lider.
»Komm schon, Denser. Ich weiß, dass du den Spruch aufgelöst hast. Hier ist Tee für dich. Kräutertee. Er sollte dir helfen, nachher einzuschlafen.«
Jetzt öffnete Denser ein Auge. Über sich, jenseits der Bäume, die sie ein wenig vor dem auffrischenden Wind schützten, sah er die dicken Wolken über den Himmel ziehen. Ein starker Regenfall stand bevor. Ein sehr starker Regen.
»Ich hasse Kräutertee«, sagte er. Er wollte lächeln und schaffte es nicht. Mühsam richtete er sich auf und nahm den Becher, den Ilkar ihm reichte. Er rümpfte die Nase, als ihm der berauschende, süße Duft entgegenschlug. Auf der anderen Seite des Feuers baute der Unbekannte einen primitiven Grillspieß. Fünf Schritt entfernt legte Hirad im Zwielicht Schlingen aus.
»Es kann noch eine Weile dauern, bis das Essen gefangen
ist«, sagte der Unbekannte, der Densers Blick bemerkt hatte.
Sie
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