Der Bund des Raben 03 - Kind der Dunkelheit
nur darauf lauerten, sie in die Tiefe zu zerren. Sie würde unter Wasser um sich schlagen, bis ihre Lungen platzten, und dann musste sie doch wieder einatmen, würde aber nichts als Wasser in die Lungen ziehen. Daran würde sie ersticken, würde nur noch mehr nach Luft schnappen und husten und kreischen, aber niemand würde sie hören. Sie wäre dem Meer hilflos ausgeliefert, auf ewig eine Gefangene der Tiefe.
»Erienne, was ist denn los?« Ren’erei packte die zitternde Magierin und drehte sie herum. Die Elfenfrau war überraschend kräftig.
»Ich kann nicht«, keuchte Erienne. »Ich kann nicht.«
Hinter ihnen wurden die Rufe lauter, und das unverkennbare Klirren von Schwertern hallte durch die Nacht.
»Du musst aber«, drängte Ren sie. »Wenn sie das Schiff erobern, dann fangen sie dich. Wir wollen dich nicht verlieren.«
»Und deshalb willst du mich ins Wasser werfen? Nein.« Sie wandte sich ab und packte die Reling so fest, dass ihre Knöchel weiß anliefen.
»Wovor hast du denn Angst?« Ren’erei drehte sie wieder herum, dieses Mal etwas sanfter. »Bitte, Erienne. Wir müssen es einfach tun.«
»Ich kann da im Wasser nicht sehen, was unter mir ist«, sagte sie und war sicher, dass Ren ihre Ängste nicht verstehen und sie für albern halten würde. »Bitte zwinge mich nicht dazu.«
Die Elfenfrau verstummte, und Erienne konnte sehen, wie sie angestrengt nachdachte. Sie runzelte die Stirn und kniff die Augen zusammen, schüttelte schließlich den Kopf.
»Ich sollte es wohl eigentlich nicht tun, aber …«
Ren bewegte sich schnell. Viel zu schnell, als dass Erienne noch hätte reagieren können. Die Elfenfrau bückte sich, fasste Erienne knapp unter der Hüfte und hob sie über die Reling.
Die Bogen der Elfen wurden wieder gespannt, doch die Schwarzen Schwingen kamen in großer Zahl. Sie ignorierten die übrigen Planken und konzentrierten sich auf diejenige, die von der Mannschaft nicht bewegt werden konnte. Sie waren bereits bis aufs Deck vorgestoßen, und das Handgemenge wurde heftiger. Die verbliebenen Armbrüste feuerten weiter, ein Bogenschütze bekam einen Bolzen mitten in die Brust. Er stürzte, umklammerte mit einer Hand das Metall und stieß einen gequälten Schrei aus. Doch seine Gefährten, die um ihr Schiff und ihr Leben kämpften, konnten ihm nicht helfen.
Tryuun lenkte einen Hieb mit dem Schild ab und schlug zurück, traf aber auf eine solide Abwehr. Sein Gegner drang wieder auf ihn ein, drückte ihn mit seinem Schild zurück und schwenkte die Klinge von links nach rechts. Tryuun wich aus, machte einen Schritt zurück
und konnte dem Stoß leicht entgehen. Der Gegner rückte nach, schlug aber nicht sofort wieder zu.
Tryuun sah sich um. Die Mannschaft der Meerulme hatte einen lockeren Halbkreis um die Schwarzen Schwingen gebildet. Zehn Angreifer waren bereits auf Deck, und weitere kamen schon über die Planke herauf. Seine anfängliche Verwirrung legte sich. Er wusste, was sie wollten, und er hatte nicht genügend Elfen, um sie aufzuhalten.
Eine weitere Salve von Armbrustbolzen tötete den letzten Bogenschützen. Am Ufer wurde ein Ruf laut, die Schwertkämpfer der Schwarzen Schwingen griffen wieder an. Auf der rechten Seite war der Vorstoß besonders erbittert. Tryuun war mit seiner eigenen Deckung beschäftigt und konnte nichts dagegen tun, dass die Schwarzen Schwingen die Verteidiger dort überrannten, wo sie am schwächsten waren. Er konnte seinen Gegner etwas zurückdrängen und zuckte zusammen, als er ein Schwert in eine Elfenschulter fahren sah. Blut spritzte hoch und verteilte sich auf dem Deck.
Nachdem sie eine Lücke in die Reihen der Verteidiger geschlagen hatten, rückten die Schwarzen Schwingen nach und nahmen den größten Teil des Decks ein. Immer mehr Schwarze Schwingen rannten die Planke herauf. Nicht mehr lange, und die Verteidiger wären eingekesselt. Tryuun warnte den Kapitän mit einem Ruf und griff wieder an.
Ren’erei sprang direkt hinter Erienne über die Reling. Es spritzte kaum, als sie aufkam. Erienne war jedoch nicht bis nach unten gefallen. Sie hatte panisch mit den Armen gerudert und mit einer Hand die Reling gepackt, an der sie nun hing. Sie hatte zu viel Angst, um sich ganz
fallen zu lassen, und zu wenig Kraft, um sich wieder an Bord zu ziehen.
Auf dem Ruderdeck war ein Brüllen zu hören. Von unten rief Ren’erei zu Erienne herauf. Ihre Stimme war nicht laut, durchdrang den Lärm aber mühelos.
»Komm schon, Erienne, wir verlieren das
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