Der Bund des Raben 03 - Kind der Dunkelheit
deutete zu der
nach Norden führenden Straße. »Raus hier!« Er schnaufte, nachdem er schnell gelaufen war. »Wache!« Er sah sich um, doch die Straße war verlassen bis auf ihn und sie. Sein Herz stockte vor Schreck. Es war zu spät, um sich noch zurückzuziehen. Stolpernd blieb er vor ihnen stehen.
»Ihr seid hier nicht willkommen. Wir haben euch hinausgeworfen. Verschwindet hier.«
»Immer mit der Ruhe«, leierte der Mann mit der Kapuze. »Du bist betrunken und weißt nicht, was du sagst. Wir sind die Freunde aller Menschen, abgesehen von denen, die die Wahrheit verleugnen. Lass dich von meinen Männern nach Hause bringen.«
Donetsk schüttelte den Kopf. »Nein, ihr dürft nicht hier sein.« Er holte tief Luft und drehte sich zur Burg um. »Ihr müsst …«
Ein heißer, stechender Schmerz durchzuckte seine Brust. Er warf den Kopf zurück, und auf einmal war der Mann mit der Kapuze so nahe, dass er seinen Atem spüren konnte. Der Mann legte ihm einen Arm um den Hals und zog ihn an sich. Die Schmerzen wurden noch stärker. Donetsk grunzte, seine Kräfte verließen ihn.
»Du kannst dich der Gerechtigkeit nicht in den Weg stellen«, flüsterte der Mann mit der Kapuze ihm ins Ohr. »Du darfst dich nicht zwischen uns und das Böse stellen. Möge deine Seele in Frieden ruhen.«
Donetsk spürte, wie sich sein Mund bewegte, doch die Lippen fühlten sich taub an, und er bekam kein Wort heraus.
Der Mann löste sich von ihm und zog den langen Dolch aus seiner Brust. Donetsk ging in die Knie und dachte, wie seltsam dunkel sein Blut war, als es aufs Pflaster tropfte. Er runzelte die Stirn, als die Dunkelheit ihn
umfing. Er war enttäuscht, weil er ihnen nicht begreiflich machen konnte, was sie ihm geraubt hatten.
Ren’erei war lange vor Mitternacht von einer zweiten, ebenfalls ergebnislosen Suche auf die Meerulme zurückgekehrt. Sie hatte keinen einzigen Hinweis bekommen, dass der Rabe bereits in Arlen eingetroffen war. Nur eine Kavallerieabteilung aus Lystern lagerte jetzt im Nordwesten, und sie begann sich ernstlich zu sorgen. Der Kapitän wollte unbedingt am nächsten Morgen auslaufen. Wenn sie später ablegten, liefen sie Gefahr, bei Ebbe durch die Mündung des Arl segeln zu müssen. Normalerweise war das kaum mehr als eine kleine Unannehmlichkeit, doch da die Winde sehr launisch waren, seit Lyannas Erweckung begonnen hatte, konnte sie dies möglicherweise daran hindern, auf die offene See zu entkommen.
Erienne war relativ ruhig geblieben, und Ren’erei zog neue Zuversicht aus Eriennes absolutem Vertrauen, dass der Rabe rechtzeitig eintreffen werde, ganz egal, wie spät es schon war. Jetzt aber, da Erienne schlief und die Mitternacht kam, wurde Ren’erei wieder unruhig und spazierte auf Deck herum. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass etwas nicht in Ordnung war.
Die Nacht war ruhig, doch der Wind war schneidend kalt. Sie stieg die Leiter zum Ruderdeck hinauf, wo stets ein Elfenwächter postiert war, dessen Augen die Nacht durchdringen konnten.
»Alles in Ordnung, Tryuun?«, fragte sie, als sie ihren Bruder erkannte.
Tryuun drehte sich um und zuckte mit den Achseln. »Eriennes Freunde sind noch nicht aufgetaucht. Davon abgesehen, habe ich vorhin nur einen Betrunkenen gesehen,
und gerade eben waren da drüben Rufe zu hören.« Er deutete zum Fischmarkt, einem niedrigen Gebäude zu ihrer Linken. »Wahrscheinlich ein Streit wegen einer Frau oder wegen der Zeche.«
Sie kicherten.
»Und was ist mit dir, Ren’erei? Kannst du nicht schlafen?«
»Nein. Ich mache mir ihretwegen Sorgen. Weil der Rabe noch nicht da ist, meine ich. Niemand in Arlen hat von ihnen gehört. Die Schwarzen Schwingen waren hier und wurden erst gestern hinausgeworfen. Die Atmosphäre ist angespannt.«
»Angespannt?«
Ren’erei streckte einen Arm aus. »Einerseits sind da die Leute, die ahnen, dass bald etwas passieren wird, auch wenn sie nichts Genaues sagen können. Andererseits gibt es Leute, die glauben, alle ihre Probleme hätten zusammen mit den Schwarzen Schwingen die Stadt verlassen.«
»Und was denkst du?«
»Ich denke, wir sollten hier so schnell wie möglich verschwinden.« Ren’erei schaute zum Fischmarkt. Sie hatte eine Bewegung gesehen. Vielleicht nur der Betrunkene. Oder, wenn sie Glück hatte, jemand anders, der ihr sagen wollte, dass der Rabe eingetroffen sei. Vielleicht sogar die Rabenkrieger selbst.
»Hast du das …« Sie deutete zum Markt, der in tiefem Schatten lag, doch Tryuun hatte schon seine schlanke
Weitere Kostenlose Bücher