Der Bund des Raben 03 - Kind der Dunkelheit
aufs Deck zurück. Seltsam, er war kaum jemals auf einem Schiff gewesen, doch er fühlte sich hervorragend. Es fiel ihm nicht einmal schwer, das Gleichgewicht zu halten, es sei denn, das Schiff tauchte in ein Wellental. Er hatte lange geschlafen, herzhaft gefrühstückt und fühlte sich im Gegensatz zu Ilkar besser erholt als seit vielen Tagen. Als er die Leiter zum Ruderdeck hinaufkletterte, fragte er sich, ob er nicht den Beruf verfehlt hatte.
Kapitän Jevin und Ren’erei standen hinter dem Rudergänger, und die drei Elfen blickten abwechselnd zur Flagge, die auf dem Hauptmast wehte, und zum Kompass rechts neben dem Steuerruder. Jevin machte ein ernstes Gesicht und nickte nur knapp, als Hirad sich zu ihnen gesellte.
»Wie kommen wir voran?«, fragte der Barbar. Er musste laut sprechen, um den heulenden Wind zu übertönen. Schon wieder prasselte ein schwerer Regenguss herunter. Er zog die Felle enger um sich.
»Also, wir sind auf jeden Fall schneller als die Meerulme « , sagte Jevin.
»Wie kommt das?«
»Sie ist ein kleineres Schiff, nicht so breit und nicht so lang. Der Kapitän wird unter diesen Bedingungen möglichst wenig Segel setzen. Das Schiff wurde nicht für
so ein Unwetter gebaut.« Er drehte sich zu Hirad um. »Unseres übrigens auch nicht.«
»Können wir sie einholen?«, fragte Hirad.
Jevin leckte einen Finger an und hob ihn, als wollte er den Wind prüfen, dann runzelte er die Stirn. »Bei den Göttern, Mann, wie soll ich das wissen? Ich weiß nicht, wie weit sie vor uns sind, in welche Richtung sie fahren und wie schnell sie sich bewegen. Wir können nur herumraten. Eigentlich sollte es auch so ein Wetter nicht geben. Der Wind kommt aus drei Richtungen gleichzeitig, die Dünung läuft kreuz und quer, und ich segle nach Kompass, weiß aber nicht einmal, ob die Anzeige stimmt. Wir fahren nach Süden, aber das war’s dann auch schon.«
Hirad nickte. Es war eine dumme Frage gewesen.
»Entschuldigt«, lenkte er ein. »Bitte tut, was Ihr könnt. Es hängen viele Leben von Euch ab.«
Ren sah ihn überrascht an, dann lächelte sie. Sie berührte ihn leicht am Arm und hauchte einen lautlosen Dank.
»Meine Mannschaft schlägt sich tapfer, und ich bin zu jung, um auf dieser Reise zu sterben«, sagte Jevin etwas freundlicher. »Kümmert Euch am besten um Eure kranken Kameraden und überlasst das Segeln den Seeleuten.«
Hirad drehte sich um und wollte gehen, doch der Kapitän war noch nicht fertig.
»Geht in die Kombüse und bittet den Koch um etwas Lemiirpulver. Sagt ihm, ich hätte Euch geschickt, sonst gibt er es Euch nicht. Löst das Pulver in Wasser auf. Das sollte Ilkars Kopf und Bauch beruhigen, damit er schlafen kann.«
»Danke.«
Jevin nickte knapp und blickte wieder zu den Segeln.
Die Nacht kam, doch nach den niedrigen dunklen Wolken, dem böigen Wind und dem manchmal sintflutartigen Regen war der Unterschied kaum zu erkennen.
Der Kapitän der Meerulme klopfte seinem Rudergänger auf die Schulter. Es war eine kleine Geste, doch der Elf wusste, was sie bedeutete. Er nahm das Steuerruder ein wenig herum und brachte das Schiff vier Grad weiter vor den Wind. Da das Schiff im Sturm heftig stampfte und gierte, konnte Selik den Richtungswechsel und die Verminderung der Geschwindigkeit nicht bemerken. Er war kein Seemann.
Der Kapitän konnte ihn beobachten. Er stand an der Steuerbordreling und hatte das Gesicht in den Wind gedreht, und hoffentlich tobte sein Magen. Der Kapitän hatte schon ein halbes Dutzend Mal beobachtet, wie Selik sich übergeben hatte, seit der Sturm stärker geworden war. Das schwächte ihn und machte ihn unaufmerksam. Nur schade, dass einige Magier, die bei ihm waren, nicht auf ähnliche Weise beeinträchtigt wurden. Besonders der Alte.
Berian, so hieß er. Er hatte viel zu viel Zeit damit verbracht, dem Kapitän über die Schulter zu schauen. Er hatte den Kurs festgelegt, und er war derjenige, auf den der Kapitän achten musste, bevor er den Kurs ändern konnte. Dieser Dordovaner war gefährlich. Er wusste eine Menge über das Meer, beobachtete den Kompass genau, wenn er auf dem Ruderdeck war, und wartete, bis sich die Nadel zwischen den Gradmarkierungen eingependelt hatte, ehe er nickte, dass alles in Ordnung sei.
In den ersten Morgenstunden hatte er sich jedoch nicht blicken lassen, und sein Stellvertreter hatte keine Ahnung, worauf er achten musste. Sie waren in dieser Zeit weit vom Kurs abgekommen; dadurch hatten die Verfolger wertvolle Stunden gewonnen.
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