Der Bund des Raben 03 - Kind der Dunkelheit
durchs Haus.«
Zustimmendes Gemurmel erhob sich am Tisch. Ilkar nickte und lächelte.
»Danke«, sagte er.
»Nein, wir müssen Euch danken«, entgegnete Arrin. »Euer Eintreffen hat uns alle gerettet.«
Ilkar zog die Augenbrauen hoch. »Noch nicht, meine Freunde, noch nicht.«
Erienne führte Lyanna vom Haus weg, fort vom Gestank des Todes und hinaus in den frischen Wind von Herendeneth. Der leichte Nieselregen hatte nachgelassen, es war warm und nicht feucht, und die Sonne versuchte, durch die rasch dünner werdenden Wolken zu brechen.
Lyanna war zufrieden und hüpfte gelegentlich sogar, während sie ihre Mutter über den Weg lotste, der zur versteckten Landestelle führte.
»Papi weiß doch gar nicht, wohin er fahren muss«, sagte Lyanna, und Erienne wurde klar, dass das Kind völlig Recht hatte. Es gab keine erkennbare Zufahrt zu der kleinen Landestelle.
Die meisten Bäume neben dem sanft geneigten und mit Stufen versehenen Weg waren umgeworfen worden. Einige waren weggeschleppt oder abgehackt worden, wo sie den Weg blockierten. Bei jeder Bö hörte man das bedenkliche Krachen von Wurzeln, die nach und nach ihren Halt verloren.
Kurz bevor der Weg nach rechts abbog und zum Strand hinunterführte, zeigte Lyanna ihrer Mutter eine steile, etwa zwanzig Fuß hohe Felswand. Unten konnte man die Wellen hören, die ans felsige Ufer schlugen.
»Ich zeige es dir, Mami«, sagte Lyanna. Sie löste sich von Erienne und lief zu den Felsen, über die sie mit bemerkenswerter Geschwindigkeit und überraschender Sicherheit kletterte.
»Wer hat dir das gezeigt?« Erienne stand ängstlich unter ihr und hielt sich bereit, die Kleine aufzufangen, falls sie strauchelte.
»Niemand«, sagte Lyanna ein wenig atemlos vom Klettern. Klein wie sie war, hatte sie Mühe, die richtigen Ansatzpunkte für Hände und Füße zu finden.
Erienne lief es eiskalt den Rücken hinunter. Wer hatte eigentlich auf ihr Kind aufgepasst? Sie wurde wütend. Sie hatte Lyanna der Obhut von Leuten anvertraut, die behaupteten, das Kind sei zu kostbar, um irgendwo sonst in der Welt leben zu dürfen. Doch sie hatten die Kleine anscheinend ohne Aufsicht in den Felsen herumklettern lassen. Ein falscher Schritt, ein einziger nur.
»Hat denn niemand auf dich aufgepasst?«, fragte Erienne.
»Das wollte ich nicht.« Lyanna hatte wieder sicheren Boden erreicht und stand neben ihr. »Siehst du, Mami, es ist ganz einfach. Jetzt du.«
Erienne blieb nichts anderes übrig. Sie zuckte mit den Achseln, begann zu klettern und stellte fest, dass es erheblich leichter ging, als sie vermutet hatte. Ihre Reichweite und ihre Kraft verschafften ihr einen Vorteil. Lyanna sah ihr zu und strahlte.
»Du bist klug, Mami«, sagte sie, als sie wieder nebeneinander standen.
»Lange nicht so klug wie du, meine Kleine«, entgegnete Erienne. »Das ist schwer für kleine Mädchen.«
Lyanna war sichtlich stolz. »Komm mit«, sagte sie.
Sie liefen ein paar Schritte über die buckelige, pockennarbige Fläche und blickten zum Meer hinaus. Rechts von ihnen fiel der Felsvorsprung zur Landestelle hin ab, links lag die unzugängliche Felsküste. Direkt voraus konnten sie über die Riffe hinweg zum Kanal blicken, der zum Südmeer führte.
Der Regen hatte schon vor einer Weile aufgehört, und endlich brach die Sonne durch die Wolken. Ein Stück entfernt tauchte im blaugrauen Meer vor dem schwarzen Fels ein Farbfleck auf. Ein Segel.
»Siehst du das Boot, Lyanna?« Erienne zeigte es ihr.
Lyanna nickte. »Wird Papi bald hier sein?«
»Ja, er ist bald hier.« Erienne hockte sich neben ihre Tochter und legte ihr einen Arm um die Schultern. »Und außerdem alle unsere Freunde, die uns helfen wollen.«
»Wie der Elfenmann da drin?«
»Genau.« Erienne dachte an Ilkars Worte, und die Erinnerung an den Speisesaal jagte ihr einen Schauer über den Rücken.
Sie setzte sich auf den feuchten Fels, streckte die Beine aus und ließ die Füße baumeln.
»Hör mal, Lyanna, ich muss dir etwas erklären. Setz dich doch, Liebling. Sei ein braves Mädchen.«
Lyanna setzte sich auf Eriennes Schoß und schaute zu ihr auf. Ihr Blick hatte eine Tiefe, die Erienne beunruhigend fand. Er zerstörte die Unschuld des sonst vollkommen kindlichen Gesichts.
»Böse Leute kommen hierher. Sie wollen uns wehtun, wenn sie können. Sie wollen uns hier wegbringen.«
»Ich weiß«, sagte Lyanna einfach nur. »Wir müssten dann alle sterben. Ich und du und die alten Frauen.«
Erienne schwieg einen Augenblick und
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